Die 3 größten Irrtümer über Trauma

​Irrtum Nr. 1 – Warum Trauma viel mehr ist als die meisten Menschen darunter verstehen

Bei dem ersten Irrtum geht es um die Annahme, was ein Trauma eigentlich ist und wann man von einer Traumatisierung spricht.

​Das Schocktrauma

Wenn wir gesellschaftlich über Trauma sprechen, verbinden die meisten Menschen damit den Begriff Schocktrauma. Dieser ist als der Traumabegriff in die Öffentlichkeit und ins Bewusstsein gelangt. Wir verstehen darunter meist noch katastrophal lebensbedrohliche Ereignisse, die Menschen erleben, sei es Krieg, Flucht, Vergewaltigung, Unfälle oder andere Formen von schwerer Gewalt – Nur dann könne man davon reden, man habe ein Trauma erlebt.

Diese Art Umgang mit dem Verständnis von Trauma ist nicht richtig und wenig hilfreich für Betroffene.

​Ein medizinischer Eingriff kann traumatisierend sein​

Es lässt viele Menschen leiden, ohne, dass sie wissen, was mit ihnen eigentlich los ist. Eine Traumatisierung, auch ein Schocktrauma, hat viel damit zu tun, wie ein Ereignis auf eine Person wirkt. Man kann fast nie sagen, dieses oder jenes Ereignis ist per se traumatisierend. Eine Operation kann beispielsweise für unseren Körper sehr lebensbedrohlich und gefährlich sein, wir bekommen diesen Zustand aufgrund einer Narkose aber nicht mit. Trotz des Abschaltens unseres Bewusstseins, sind solche Eingriffe für unseren Körper jedoch mitunter hoch traumatisierend.

​Traumatisierungen in der vorsprachlichen Zeit unseres Lebens​

Das ist der eine Bereich von Schocktrauma, der viel zu eng gefasst wird. Der andere Bereich beschreibt eine andere Form von Traumatisierung, die viel früher und sehr häufig im vorsprachlichen Raum unseres Lebens passiert: das sogenannte Entwicklungstrauma.

​Entwicklungstrauma bedeutet, dass viele für unser heutiges Erwachsenenempfinden „kleine“ Dinge zusammen kommen, die in ihrer Summe und der Häufigkeit ihres Auftretens in unserer Kindheit ein Entwicklungstrauma bedingen können. ​

​Hilflosigkeit löst Stress und Angst aus​

Ein Baby etwa, das viel allein gelassen wird, oder sehr gestresst wird, kann die Situation des Alleingelassenseins als lebensbedrohlich empfinden. So eine Situation kann Todesangst auslösen, genau wie auch schweren Geburten Todesangst auslösen können.

All diese Ereignisse in frühen Jahren, auch solche, bei denen Eltern sich nicht mit dem Herzen kümmern wollen oder können, können für Kinder traumatisierend sein und sie ein Leben lang beeinflussen.

​Bindungstraumata und Bindungsmuster​

Ein Teil des Entwicklungstraumas ist das Bindungstrauma: es gibt ganz verschiedene Bindungsmuster, im Idealfall ist dieses ein Festes.

Ein festes Bindungsmuster zu haben bedeutet, dass in unserer Kindheit eine Bezugsperson da war, die eine sogenannte eingestimmte Kommunikation mit uns hatte. Es gab einen Menschen, der uns begegnet ist, der Mimik hatte, der uns angemessen gehätschelt und auch angemessen wieder beruhigt hat. Jemand, der uns nicht stundenlang schreien lassen hat, weil er oder sie dachte, dass man das so tun müsse.

​Das Gefühl von Sicherheit in unserem Leben​

All diese Erfahrungen beeinflussen unser Gefühl von Sicherheit in unserem Leben. Einem nicht sicher gebundenen Menschen bereitet es mehr Schwierigkeiten, ins Leben zu gehen, neugierig zu sein und neue Dinge zu entdecken.

Wir bekommen dann mehr Schwierigkeiten, uns im Erwachsenenalter sicher zu binden und eine erfüllende Partnerschaft zu haben.

Dies alles sind verschiedene Formen von Traumatisierungen, die immer noch viel zu wenig bekannt sind, und damit Punkt eins: der erste große Irrtum.

Übrigens: In meinem Blog liest du auch, was du bei der Suche nach einem passenden Traumatherapie-Therapeuten zu beachten ist.

​Irrtum Nr.2 – ​Schmerzhafte ​Annahmen über Traumabearbeitung

Der zweite große Irrtum betrifft die Therapie von Traumata. Sehr häufig wird hier immer noch davon ausgegangen, dass die einzige Therapie für die Verarbeitung von Traumata ist, indem man darüber redet, bis es nicht mehr schmerzt. Meiner persönlichen Überzeugung nach, wobei andere sicher andere Überzeugungen haben, funktioniert das so nicht.

​Trauma ist im impliziten Gedächtnis verankert

Das explizite Gedächtnis, kann erzählen, was passiert ist. Zum Beispiel, dass ich gestern jemanden getroffen und wir gewisse Dinge unternommen haben. Aber Traumata sind viel tiefer verankert, nämlich im impliziten Gedächtnis, im Körpergedächtnis.

Das bedeutet, dass ich über Sprechen eigentlich immer nur an die oberste Schicht komme und diese tieferen Schichten aus Angst, Überwältigung und Erinnerung reaktiviere.

Dadurch erleben Menschen das Trauma genau so, als würde es gerade passieren, was nicht gut, unter Umständen sogar re-traumatisierend ist.

Den Körper als Träger der Erinnerung integrieren​

Hier ist sehr viel Vorsicht geboten, es gibt bestimmt Möglichkeiten, über Trauma zu sprechen, aber eben in einer sehr geleiteten, einer langsamen und kleinschrittigen Form.

Man sollte meiner Meinung nach unbedingt den Körper als Träger von Erinnerung mit integrieren.

Ich möchte nichts pauschal verurteilen, aber das Sprechen allein kann uns in allen Therapieformen nur bis an einen gewissen Punkt bringen, aber nicht darüber hinaus. Erkenntnis ist das Eine, die Umsetzung im Leben dagegen etwas völlig Anderes, denn dafür brauchen wir neue Erfahrungen. Dafür müssen wir uns nicht explizit an alles erinnern was uns geschehen ist und es erneut durchleben, wir können mit Jemanden an der Hand, der uns mitträgt und mit hält, neue Erfahrungen schaffen und alte integrieren.

Irrtum Nr.3 – ​​Man muss jedes Symptom einzeln bearbeiten

Fragen, die sich immer wieder stellen: ‚Muss ich jedes einzelne Symptom extra bearbeiten? Wie kann ich einzelne Symptome loswerden und was mache ich, damit mich andere Symptome nicht so plagen?

Um dies zu veranschaulichen würde ich Dich gerne ein bisschen mitnehmen in die Theorie der Selbstregulation und des Window of Tolerance.

​Das Window of Tolerance – unser Toleranzfenster​ ​ ​

Grundsätzlich bewegen sich Menschen innerhalb eines Toleranzfensters. Das sympathische und das parasympathische Nervensystem, die beide Teil des autonomen Nervensystems sind, schwingen in diesem Fenster hin und her. Generell gibt es so etwas wie einen ‚grünen Bereich‘. In diesem Bereich sind alle Dinge für uns machbar und gut auszuhalten. Wir bewegen uns relativ stressfrei durch die Welt und können auf alle Eindrücke und Impulse gut reagieren.

Der grüne Bereich unseres Toleranzfensters​

In diesem „grünen“ Bereich müssen wir nicht immer glücklich und ekstatisch sein, sondern das Leben kann glücklich sein, es kann auch einmal traurig sein, aber es sprengt uns nicht auseinander Wir sind nicht überwältigt und fallen nicht in Depressionen, verspüren ständig Unruhe oder haben Schmerzen.

In diesem Bereich sind Menschen fähig, gut in Kontakt zu gehen, mit sich selbst im Kontakt zu sein, sich zu fühlen und auch in sozialen Interaktionen präsent zu sein. Auch Empathie sowie Selbstempathie finden in diesem Bereich statt.

​Wenn wir aus dem Rahmen fallen​

Sobald wir aus dem Rahmen des Toleranzfensters hinausfallen, weil wir etwas nicht mehr handhaben können, also die Erregung in unserem Körper zu stark wird, rauschen wir sozusagen nach oben über das erträgliche Maß hinaus.

Das Window of Tolerance bildet sich im Großen und Ganzen innerhalb der ersten drei Lebensjahre. Das heißt, es kommt ein bisschen darauf an, wie unsere Bindung zu unseren Eltern oder ersten Bezugspersonen war. Dabei geht es darum, wie gut wir genährt worden sind, wie gut wir gesehen worden sind, wie empathisch und einfühlsam unsere Eltern mit uns umgegangen – Und es spielt auch eine Rolle dabei , wie gut sie uns reguliert haben – also wie viel sie da waren, um Stress wieder auszugleichen.

​Das Problem sich zu entspannen und selbst zu regulieren

Daran liegt, wie breit dieses Window of Tolerance im späteren Leben wird. Je enger also das Window of Tolerance ist, desto starrer und eingeschränkter wird die betroffene Person. Der Mensch ist also zunehmend über- oder untererregt und hat große Probleme sich selbst zu regulieren, sich also wieder zu entspannen. Dies rührt daher, dass sie nicht gelernt hat, sich selbst zu regulieren, da sie als Kind oder Baby zu wenig Zuwendung bekommen hat.

​Man kann sich vorstellen, dass man, je enger dieser Bereich ist, weil einfach nicht viel Zuwendung vorhanden war, weil man nicht viel von außen reguliert worden ist, in sich starrer wird, weil man mit der Erregung, die man spürt, nicht ausreichend umgehen kann.

​Trauma ist eine Selbstregulationsstörung

Das Problem hinter Trauma und all den Symptomen ist eine Selbstregulationsstörung.

Erschöpfung, Wutanfälle, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlaflosigkeit, Flashbacks, Übererregung, Dissoziation, Angst, Panik, sind Traumatisierungs-Symptome, die unter Umständen erst mal so wirken, als hätten sie nichts miteinander zu tun. In diesem Rahmen können wir sie einordnen.

Erfahre in meinen Blogbeiträgen mehr zu den einzelnen Trauma-Symptomen. In meinem Beitrag zum Thema Flashbacks in der Psychologie lernst du die beispielsweise die verschiedenen Arten eines Flashbacks kennen. Schau gerne mal rein!

​Die Arbeit mit Schocktrauma​

Jetzt gibt es zwei Arten, daran zu arbeiten. In der Schocktrauma-Arbeit wird so gearbeitet, dass die Übererregung gemäß einer körperorientierten Psychotherapie durch bestimmte Techniken aus dem Körper gelangt. Beim untererregten Zustand möchte man anregen, dass wieder eine Assoziation stattfindet, damit wieder Energie in das System kommt.

​Die Arbeit mit ​Entwicklungstrauma

Wenn man mit Entwicklungstrauma oder der Selbstregulierung arbeitet, versucht man, den vorher beschriebenen „grünen“ Bereich zu erweitern, also das Window of Tolerance zu vergrößern, Das geschieht viel über den Körper und die Körperwahrnehmung, Beispielsweise ​ indem der oder die TherapeutIn einem hilft, sich zu regulieren. Es geht also darum, dass mir gezeigt wird, wie der Selbstregulierungsprozess abläuft. Der oder die Therapeutin übernimmt damit die Aufgabe, die meine Eltern eigentlich hatten.

So kann man auch später von einem Therapeuten ko-reguliert werden und dem Nervensystem helfen sich neu zu justieren.

Es gibt aber auch viele Dinge, die Du selbst machen kannst, damit das Window of Tolerance größer wird und Du wieder mehr Luft bekommst – meine Online-Kurse sind genau darauf ausgelegt.

Es ist mir ein großes Anliegen, viel Wissen über Trauma in die Welt zu bringen, weil so viele Menschen betroffen sind. Oft auch diejenigen, die sich dem gar nicht zuordnen würden.

Trauma ist kein Stigma, keine Schwäche und es gibt wirklich Möglichkeiten, damit umzugehen und das Leben in eine andere Richtung zu leiten – wie zum Beispiel die Traumatherapie.

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