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Wenn der Tiger ständig im Raum ist

von | 12.06.2020 | 0 Kommentare

Unser Trauma, das uns in unserem Leben oft sehr beeinflusst, ist wie ein Tiger im Raum, vor dem wir uns immer und immer wieder schützen müssen. Wir müssen viel Energie investieren, um diesen Tiger oder unser Trauma „in Schach zu halten“. Unsere Aufmerksamkeit geht dahin, uns nicht zu spüren in unserem Schmerz und unserer Verletzung. Deshalb tun wir alles, um uns von allem abzulenken. Das hat zur Folge, dass wir uns nur sehr schwer konzentrieren und fokussieren können…ohne dass wir wissen, woher es kommt!

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Wenn der Tiger ständig im Raum ist
– oder warum kann ich mich so schlecht konzentrieren?

Eine Frage, die ich oft von Klienten gestellt bekomme, ist: “Warum kann ich mich so schlecht konzentrieren“?
Diese Frage möchte ich anhand des „Tigers im Raum“ beantworten. Stell dir vor, deine gesamte Aufmerksamkeit und Energie wird dafür gebraucht, diesen Tiger im Raum in Schach zu halten. Hättest du da noch Kraft für eine Arbeitsaufgabe, hättest du da noch die Energie dich auf ein intensives Gespräch einzulassen oder ein interessantes Fachbuch zu lesen?
Konzentrationsfähigkeit als hohes „Gut“
Vieles ist in unserem Leben ist davon abhängig, wie wir uns konzentrieren können. Schon in der Schule führt diese Fähigkeit zu besseren Leistungen. Können wir fokussieren, lernen wir schneller neue Sachen, wir stellen uns in unserem Beruf anders und kompetenter dar.
Aber dem ist eben oft nicht so und wir erleben eher das Gegenteil. Sicher passiert es dir selbst des Öfteren, dass du – wenn du in einem Gespräch bist – dein Gegenüber abschweift, sich von seinem Handy ablenken lässt, darüber den „Gesprächsfaden“ verliert und in dir ein Gefühl der Zurückweisung hinterlässt. Das ist nicht mal beabsichtigt, aber die Ablenkungen sind so groß und die Konzentrationsfähigkeit gleichzeitig so gering, dass es nicht zu einer länger anhaltenden Aufmerksamkeit kommt. Wenn du dich selbst einmal beobachtest, wirst du Ähnliches entdecken.
Wenn wir gleiches in unserer Arbeit machen, kostet uns das viel mehr Energie als wir wahrnehmen, weil wir ständig hin und her „switchen“. Obwohl wir glauben, wir würden uns konzentrieren weichen wir immer wieder von den eigentlichen Aufgaben ab und erledigen noch kurz etwas anderes. Man unterliegt an der Stelle sozusagen einer Fehleinschätzung – man hat eine Wahrnehmungslücke.

Konzentration und Aufmerksamkeit

Konzentration und Aufmerksamkeit sind natürlich eng miteinander verbunden, das heißt wir brauchen ein gewisses Maß an Konzentrationsfähigkeit, um aufmerksam sein zu können und zu bleiben. Leider werden diese Eigenschaften sehr stark beeinträchtigt über Traumen, die wir erlebt haben – sei es Schock-oder/und Entwicklungstrauma. Unser System versucht ständig, diesen inneren Zustand zu regulieren, in dem es z.B. Schutzmechanismen gegen unsere Verletzungen aufzubauen oder Muster zu entwickeln, die bestimmte Gefühle und Erinnerungen abspalten etc.
Dabei kommt es im Laufe der Jahre zu Dysregulationen, die uns nervös werden lassen, die unser Erregungsniveau hochschnellen lassen, die uns nicht schlafen lassen, die Stress verursachen und nicht zuletzt unsere Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit insgesamt weniger werden lässt. Unsere gesamten inneren Ressourcen werden aufgebraucht…leider nicht für das, wofür wir sie einsetzen wollen!
Ich verliere ganz viel
• an Lebensqualität
• an Fähigkeiten, die ich in die Welt bringen könnte
• an Freude
• an Kreativität
• an Neugierde
Wenn jemand sich nicht konzentrieren und seine Aufmerksamkeit lenken kann, kann er noch so begabt, noch so kreativ sein – er wird das nie in die Welt bringen. Und das ist einfach sehr tragisch!

Das „WoT“ (windows of tolerance)

Wer mir schon länger folgt, der weiß sicherlich schon, was es mit diesem Begriff auf sich hat. Wenn nicht, trage ich gerne auf meiner Webseite www.traumaheilung.de für das kostenfreie E-Book „Trauma verstehen“ ein. Dort erkläre ich dieses wichtige Thema ausführlich.
Unser Nervensystem schwingt normalerweise in einem Fenster hin- und her, innerhalb des WoT. Wir sind mal wacher und neugieriger – dann ist mehr Spannung im Körper (sympathischer Spannung). Und wenn wir uns entspannen – dann ist weniger Spannung in unserem System (parasympathische Spannung).
Bei einer Traumatisierung sprengen wir quasi diese Fenster in die eine oder andere Richtung – wir fallen sozusagen heraus aus dem WoT. Wir sind entweder in der Übererregung oder in der Untererregung. In der Übererregung fühlen wir uns ständig gestresst und angespannt und viele Menschen können das überhaupt nicht benennen, sie merken einfach nur, dass sie kaum in Ruhe auf dem Sofa sitzen können, sie ständig etwas tun müssen und ihnen auch immer etwas einfällt, was dringend noch erledigt werden muss. Oder sie kollabieren und sind quasi dauermüde und können sich zu nichts aufraffen und fühlen sich depressiv oder dissoziieren.
Die Folge dieser entweder zu hohen oder zu niedrigen Spannung ist, dass es wahnsinnig schwer ist, sich zu konzentrieren und zu fokussieren – das ist einfach fast unmöglich. Denn um mich konzentrieren zu können und aufmerksam zu sein, brauche ich sozusagen eine „entspannte Spannung“, die ich innerhalb des „WoT“ finde.

Die Folgen für unser Leben

Und das ist schlicht und einfach der Grund, warum sich viele Menschen mit einem Traumahintergrund nicht entspannen können, warum Kinder ADHS haben (was meiner Meinung nach eine Folge von „Entwicklungs- oder Geburtstrauma“) ist. Warum viele nicht einmal ein Buch über einen längeren Zeitraum lesen können ohne dabei abzuschweifen. Es ist einfach sehr schwer, den Fokus zu halten. Und das hat wirklich nichts damit zu tun, dass du dumm bist!! Es ist mir wirklich ein Anliegen, das zu betonen: es hat wirklich nichts damit zu tun, dass du dumm oder sonst irgendetwas bist, sondern es hat damit zu tun, dass du intern so „unreguliert“ bist, dass es quasi unmöglich ist sich zu konzentrieren und den Fokus dort zu halten.
Stell dir vor, es ist ein Tiger im Raum…..würdest du dann in Ruhe ein Buch lesen? NEIN, natürlich nicht!
Und für betroffene Menschen ist dieser Tiger quasi immer im Raum, d.h. sich zu konzentrieren und damit zu sein ist unmöglich, weil die Aufmerksamkeit quasi immer wieder dahin geht zu schauen „wo lauert die Gefahr? Von woher kommt sie“? Und wenn du immer damit beschäftigt bist, zu schauen von wo die Gefahr droht und sie in Schach zu halten, dann ist es doch klar, dass du deinen Fokus nicht halten kannst, oder?
Das ist einfach Biologie und gegen die kommst du willentlich nicht an. Diese Muster müssen behutsam angeschaut und Schritt für Schritt langsam integriert werden. Mit dem Kopf kommst du vielleicht kurz dagegen an, aber sobald der Kopf mit etwas anderem beschäftigt ist, ist die Angst vor dem Tiger wieder da. Wirklich, es hat nichts damit zu tun, dass irgendwas mit dir falsch ist, es hat nichts damit zu tun, dass du irgendwie unfähig oder dumm bist, sondern es hat wirklich etwas mit deiner Geschichte zu tun – und das ist einfach traurig – und darüber darf man auch einfach mal unglücklich sein oder weinen!
Kennst du diese Symptome von dir, dann fass dir ein Herz und beschäftige dich mit dir. Mach dich kundig und hole dir nötigenfalls Unterstützung. Die Symptome der Unruhe und Konzentrationsverlustes ist nur die Spitze des Eisberges und es lohnt sich etwas für dich zu tun.

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