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Der Tod und ich

von | 20.04.2020 | 4 Kommentare

Anfang letzter Woche bin ich in Fulda auf einem Friedhof spazieren gegangen. Schon als Kind war ich fasziniert von der Stille, der Ruhe und dem Grün auf Friedhöfen. Ich wohnte direkt gegenüber eines solchen und ich war oft dort, um einfach zu spielen und natürlich, um die Eichhörnchen zu füttern.

Erst später wurde mir dann bewusster, dass auf einem Friedhof lauter Menschen liegen, die einmal gelebt haben – so wie ich.

Ich hielt mich auch deswegen so gerne dort auf, weil mir meine Endlichkeit dort bewusster wurde – und das schon als Kind! Immer wenn ich heute über einen Friedhof gehe, schaue ich mir die Gräber mit den Geburts- und Todesdaten an und lese Sprüche und Zitate, die die Grabsteine zieren (leider sind diese sehr selten wirklich aussagekräftig oder originell). Manchmal gibt es Menschen, die in meinem Geburtsjahr gestorben sind, und manchmal finde ich Grabsteine mit Aufschriften, die das gleiche Geburtsjahr haben wie ich, aber schon verstorben sind.
Das macht mir jedes Mal bewusst, wie glücklich ich mich schätzen kann noch hier zu sein und zu leben!

An dem Tag in Fulda habe ich mich auf eine Bank gesetzt und die Gräber angeschaut. Die Sonne schien mir ins Gesicht und es war still, nur die Vögel zwitscherten.
Friedhöfe haben eine besondere Stille, die mich manchmal sehr berührt – so wie an diesem Tag.

Die Bedeutung von Leben und Tod – ein persönliches Statement!

Der Tod bedeutet für mich, dass mein Weg auf dieser Erde zu Ende ist. Einfach so und unwiederbringlich. Ich werde nicht feilschen können und sagen, „Hey, noch nicht, ich habe noch ein paar Dinge nicht getan, die ich doch unbedingt tun und erleben wollte“. Ich werde nicht sagen können: “Bitte gib mir noch Zeit, ich wollte doch noch unbedingt mehr lieben.“
Es wird einfach vorbei sein. Der Weg endet, wie eine Straße, die plötzlich aufhört.

Und so bringt der Tod mir das Leben nahe.

Mir ist bewusst, dass mein Leben endlich ist und der Horizont näher kommt. Was bedeutet das aber für mein Leben jetzt?

Der Tod ist gemeinsam mit dem „Älterwerden“ (das ja zum Tode führt) eines der Ereignisse in dieser Gesellschaft, das am meisten verleugnet wird. Wir wollen damit nichts zu tun haben.

Nun hat sich der Tod durch Corona mitten in unser Leben geschlichen – überall auf der Welt. Und wir versuchen die Türen zu schließen, damit er uns bloß nicht ereilt. Die Angst vor dem Tod verändert unseren Umgang miteinander, schneller als jedes andere Ereignis das tun könnte.

„Es ist vieles möglich, doch gestorben werden darf hier nicht.“ Vielmehr setzen wir alles daran, das Leben zu erhalten. Das ist auch gut so. Aber ich finde, der Rahmen ist entscheidend, in dem das stattfindet, und welchen Preis wir dafür zahlen.

Ich würde mir wünschen, dass wir über den Tod sprechen dürfen. Ich würde mir wünschen, dass man (auch in Krankenhäusern) sterben darf und nicht noch mit Ende 80 wiederbelebt wird. Eine Freundin und Ärztin sagt immer wieder zu mir: „Dami, wenn du alt bist, schau, dass du nicht ins Krankenhaus kommst, du darfst dort nicht sterben!“ Wir haben den Tod zum Feind erklärt, zum schlimmsten möglichen Ereignis – er ist sozusagen der Supergau des Lebens.

Ist nicht die viel wichtigere Frage:
Wie wollen wir sterben“?
Denn dass wir sterben werden, ist einfach unumgänglich.

Ich habe mir in den letzten zwei Wochen immer wieder vorgestellt, was wäre, wenn ich nun schwer an Corona erkranken würde. Wie wäre es für mich, alleine im Krankenhaus zu sein? Abgeschnitten von allen Menschen, die ich liebe und die mir wichtig sind? Was wäre, wenn es klar wäre, dass ich sterben werde und die Intensivmedizin dies nur hinauszögern würde. Würde ich wirklich lieber schmerzhaft am Leben erhalten werden wollen – alleine und einsam – oder würde ich lieber im Kreise meiner Lieben – die die Gefahr der Ansteckung dafür gerne in Kauf nehmen würden – friedlich und mit Hilfe der Palliativmedizin sterben? https://www.deutschlandfunk.de/palliativmediziner-zu-covid-19-behandlungen-sehr-falsche.694.de.html?dram%3Aarticle_id=474488&fbclid=IwAR0f4-c7aNQ8nGK5Y45MLjdt14WwJhqtLykmx8ebUNHpKY54fvKInVDivBg

Sterben ist in Deutschland immer noch ein Tabu

In Frieden sterben zu dürfen und vielleicht sogar dabei unterstützt zu werden, ist noch mehr tabuisiert. Das verstehe ich vor dem Hintergrund des Faschismus, wo Menschen getötet wurden, deren Leben als nicht lebenswert eingestuft wurde.

Ich möchte auch nicht, dass jemand dies über meinen Kopf hinweg entscheidet. Ich möchte einbezogen werden und erklärt bekommen, welche Alternativen ich habe, und dann entscheiden dürfen, wie ich mein Leben weiterführe – auch wenn es mit dem Tod endet.

Ich möchte „lebendig sterben“!

Mit 25 habe ich eine Freundin, die an Brustkrebs erkrankt war, zwei Jahre lang bis zu ihrem Tod begleitet. In dieser sehr schweren Zeit habe ich viel gelernt. Ich habe viel darüber erfahren, wie ich nicht mit dem Tod umgehen möchte. Die Freundin hat den Tod verleugnet, sie wollte das Ende nicht sehen, auch als der Tod schon mit im Zimmer saß und es klar war, dass er nicht mehr gehen würde.
Auch meine Mutter ist so gestorben, gegen ihren Willen, den Tod verleugnend. Auch dies war schlimm für mich, da mir irgendwie schon damals klar war, dass dies keine gute Art ist, das Leben zu beenden. Mir wurde damals klar, dass es im Leben auch darum geht, das Sterben zu lernen und mit möglichst viel Klarheit dem Tod zu begegnen. Und nicht ihn zu verleugnen.

Das hat dazu geführt, dass ich eine notarielle Patientenverfügung zu Hause habe und immer zwei meiner liebsten Menschen eine notarielle Vollmacht besitzen, mit der sie alle Entscheidungen in meinem Namen treffen können. Mein Testament liegt abgeheftet bereit und mein Spruch für meinen Grabstein ist auch ausgewählt. Der Tod ist eine Tatsache, die uns alle ereilen wird. Wir wissen nicht wie und wann, wir können nur alles dafür vorbereiten.

Der Zusammenhang zwischen Leben und Tod

Denken wir über den Tod und das Sterben nach, dann müssen wir uns unweigerlich fragen, wie wir leben?

    • Wie können wir so leben, dass wir gut sterben können?
    • Wie können wir leben, dass wir irgendwann sagen können, es ist ok zu gehen? Es war gut, ich bin satt.

Für mich gibt es Schlimmeres als den Tod – es ist die Vorstellung, einsam und isoliert zu sterben und mein Leben nicht gelebt zu haben, nicht geliebt zu haben, keine Risiken eingegangen zu sein – kurz: nicht lebendig gewesen zu sein.

Man sagt, dass Menschen, die nie wirklich gelebt haben, auch nicht gut sterben können. Gerade mit dem Tod vor Augen zeigt es sich, wer wir wirklich sind.

Da der Tod nun gerade mitten unter uns ist, zeigt sich bei vielen Menschen, wer sie sind und was in ihnen ist. Die Angst (letztlich vor dem Tod) macht viele Menschen wütend. Sie fauchen ihre Mitmenschen an, weil diese sich ihrer Meinung nach nicht „richtig“ benehmen.

Das Virus ist wie ein Spiegel. Es macht Dinge deutlich, die auch vorher schon vorhanden waren. Es verstärkt latent Vorhandenes. Es bringt Gefühle und Gedanken zum Vorschein, die wir sonst vielleicht gut in uns versteckt gehalten haben. Es bringt auch gesellschaftliche und soziale Tendenzen zum Vorschein, die bereits da waren und nun voll sichtbar werden.

Es liegt an uns, uns dessen bewusst zu werden und zu entscheiden, wollen wir so leben? Wollen wir so sein? Oder wollen wir uns dem Leben zuwenden, der Liebe (ein Wort, das ich sehr ungerne benutze, weil es so überladen und dramatisch ist) und dem Mitgefühl füreinander. Wollen wir diese Zeit nutzen, um wacher und lebendiger zu werden.

Angst bringt alte Verletzungen und alte traumatische Erfahrungen hervor und kann dazu führen, dass man die eigene Angst und Verletzung nach außen projiziert. Auf einmal findet die Angst ihre Bestätigung, dass die Welt gefährlich ist und noch schlimmer, dass Kontakt gefährlich ist.

Die Angst scheint die Berechtigung zu geben uns gegen unsere Nachbarn, Bekannten und Freunde zu wenden, wenn wir glauben, dass sie etwas „falsch“ machen.

Ich persönlich habe Angst, dass uns diese Krise nicht näher zusammenbringt, sondern wir schleichend lernen: Mein Gegenüber kann Krankheit und Tod bringen – ich sollte Abstand halten. Schon vor Corona war Vereinzelung und Isolation ein großes Thema, nun wird uns beigebracht, dass Isolation Leben rettet.

Inzwischen höre ich den Satz „Wir müssen uns an eine neue Normalität gewöhnen“.

Das alles macht mir mehr Angst als das Coronavirus.

„Angst ist ein schlechter Ratgeber“, heißt es so schön und dies zeigt sich gerade überall. Ich finde es wichtig sich gerade jetzt zu fragen: Wovor habe ich solche Angst?

Was muss ich in meinem Leben vielleicht ändern oder was möchte ich unbedingt noch tun?

Ich mache mir immer wieder Gedanken darüber, was ich heute tun muss und wie ich mein Leben so gestalten kann, dass ich gut sterben kann – egal wann das sein wird!

Nach Meinung vieler Experten bedeutet eine Pandemie, dass dieses Virus bei uns bleiben wird und die meisten von uns von ihm berührt werden – früher oder später (was nicht bedeutet, dass alle krank werden). Die Hoffnung ist, dass es irgendwann einen Impfstoff geben wird und eine Heilung.
Ich bin mir jedoch sicher, dass es irgendwann ein neues Virus geben wird und wir die Diskussion darüber, wie wir leben wollen – miteinander und jeder für sich – und wie wir sterben wollen, weiterführen müssen.

Lasst uns diese Zeit nutzen darüber nachzudenken und vor allem zu spüren, wie wichtig Gemeinschaft und Verbundenheit ist.

Ohne einander ist alles nichts!

Ich empfehle dir, auch diesen Artikel zu lesen: https://charleseisenstein.org/essays/die-kronung/

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4 Kommentare

  1. Ein sehr guter und wichtiger Beitrag. Wie ist das eigentlich mit der Palliativmedizin in der Coronakrise. Darf da jemand auch zu Hause versorgt werden, wenn er zu Hause sterben möchte?
    Und kannst du Empfehlungen geben wo man gute Tipps für Patientenverfügungen bekommt?

    Antworten
  2. ohne Bezug zu Deinem Text – meine Mutter ist vor ziemlich genau einem Jahr gestorben. Ich hatte den Kontakt zu ihr abgebrochen – offensichtlich in der Hoffnung, dass es doch noch eine Lösung geben würde. Von ihrem Tod hab ich erst nach ihrer Beisetzung erfahren. Ja, das war sehr schlimm. Gar nichts mehr wird wieder gut werden mit ihr.

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  3. Danke!

    Antworten
  4. Meine allerbeste Seelenfreundin ist vor fast einem Jahr gestorben. In ihrem Sterbeprozess hat sie mir noch so viel gelehrt. Wie auch in guten Zeiten haben wir während der Abschiedsphase kurz vor ihrem Tod auf unsere Weise offen über alles gesprochen, ich habe ihr offen gesagt, dass ich ihre Entscheidung, sterben zu wollen und nicht weiter zu kämpfen, sehr gut verstehen könne und sie meine größten Respekt hätte in anbetracht dieser endgültigen Entscheidung. Danach war sie so erleichtert, trotz ihrer eigenen Trauer, gehen zu müssen, weil sie noch gerne geblieben wäre, es aber unerträglich für sie war (Gehirntumor). Ich hatte den Eindruck, sie hat auf meine „Zustimmung“ oder Akzeptanz gewartet. Vier Tage nach unserem letzten Treffen, wo sie nicht mehr mit Worten kommunizieren konnte, ist sie dann gegangen. Sie fehlt mir so sehr, trotz einiger Nachtodkontakte mit ihr, wo ich eigentlich wissen müsste, dass sie in anderer Form bei mir ist. Dennoch fühle ich mich sehr alleine. Ich finde es traurig und es macht mich einsam, dass das Thema Tod und Sterben in Deutschland so verpönt ist. Als ob das Leben das Wichtigste wäre, das ist es aber nicht, es ist nur ein Übergang. Man kann von sterbenden Menschen sooo viel Lernen über das Leben. Das Annehmen dieser Endgültigkeit, den irdischen WEg verlassen zu müssen, ist eine große Aufgabe. Ich wünsche mir auch, dabei begleitet zu sein, meine größte Angst ist nicht der Tod, sondern das auch im sterben einsam sein müssen. Ohne haltende Hand.

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