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Bindungstrauma: Wie muss ich sein, damit du mich liebst?

von | 25.11.2019 | 2 Kommentare

Heute möchte ich mich dem Thema Beziehung und Entwicklungstrauma widmen. Tun sich Menschen aufgrund körperlicher oder emotionaler Traumata schwer, sich in Beziehungen fallen zu lassen, spricht man auch von einem Bindungstrauma. Wie du dir denken kannst ist das ist ein Riesenthema. Ich werde versuchen, dir ein bisschen Einblick und Ideen zu geben, die dir vielleicht helfen, dich in diesem Bereich besser zu verstehen.

Heutzutage haben einfach unendlich viele Menschen Schwierigkeiten mit und in Beziehungen – mit Beziehung als Partnerschaft, aber zum Teil auch mit Freundschaften, Kontakten auf dem Arbeitsplatz usw. Woran liegt das? Meine Antwort ist die, dass Entwicklungstrauma wirklich epidemische Ausmaße hat.

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Bindungsstörung und Beziehungen: Entwicklungstrauma oder wie wir Beziehung gelernt haben

Ein Entwicklungs- bzw. Bindungstrauma ist das, was wir bereits als Kind in ganz frühen Jahren über uns und Beziehungen gelernt haben. An der Art, wie unsere Eltern oder andere Bezugspersonen mit uns umgingen, haben wir gelernt, wie Beziehung geht und welchen Wert wir haben.

Das alles gehört zu Entwicklungstrauma. Und bei Entwicklungstrauma ist der Begriff Trauma leider sehr irreführend. Nicht immer bildet sich ein Entwicklungstrauma nur aus, wenn ein Kind unter einer depressiven oder narzisstischen Mutter leidet oder Gewalt erlebt. Wir reden schon von Entwicklungs- bzw. Bindungstrauma, wenn deine Mutter z. B. viel Angst hatte, da diese sich unmittelbar auf das Baby überträgt. Auch wenn du immer nur alle drei Stunden gefüttert oder in den Nebenraum gelegt worden bist, hinterlässt das Spuren. Da fängt Entwicklungstrauma an und es kann bei wiederholter Gewalt oder sexueller Gewalt enden — insbesondere, wenn diese von erwachsenen Bezugspersonen oder anderen Menschen, denen wir vertrauen, ausgeht. Betroffene Menschen entwickeln dann unter Umständen auch weitere Traumata wie etwa ein Schocktrauma. Hilfereiche Informationen zu Trauma-Symptomen findest du ebenfalls auf meinem Blog.

Entwicklungstrauma ist immer gleichzusetzen mit Bindungstrauma/-verletzungen/-störungen.

Der Fachbegriff ist natürlich Bindungsstörung.

Eigentlich haben wir aber keine Bindungsstörung, sondern wir haben uns als Kinder perfekt angepasst an das Verhalten unserer Eltern (oder anderer erwachsener Bezugspersonen). Das heißt, wir haben uns an die Störung unserer Eltern angepasst, damit wir so viel Beziehung bekommen, wie wir bekommen konnten.

Warum dies im späteren Leben zum Dilemma wird

Das Dilemma ist, dass diese gute und wichtige Anpassung später im Leben zu einer Störung wird. Hier wird deutlich, weshalb ein Entwicklungstrauma auch immer ein Bindungstrauma ist: Als Kind habe ich in frühen Jahren vielleicht versucht mich jemandem anzupassen, der mich kaum beachtet hat oder nicht empathisch ist. Dann habe ich mich so lieb wie möglich verhalten, damit ich vielleicht ab und zu doch noch ein bisschen liebevolle Aufmerksamkeit bekomme. Weil ich gelernt habe, dass meine Eltern es gerne mögen, wenn ich quasi unsichtbar bin.

Später ist das natürlich keine gute Strategie, um eine liebevolle und zugewandte Beziehung zu führen. Weil dann womöglich dein/e Beziehungspartner*in das Gefühl hat, dass sie dir egal sind, weil du eigentlich nie wirklich greifbar bist für sie.
Das heißt:

Entwicklungstrauma bedeutet immer auch Bindungsverletzung und Bindungstrauma. Und dies zeigt sich später immer in unseren Beziehungen. Diese Menschen haben meistens – nicht immer – ein Vertrauensproblem, das sich unterschiedlich zeigen kann. Die einen halten möglichst viel (körperlichen und/oder emotionalen) Abstand, andere benötigen ständig Versicherung: „Bist du noch da? Liebst du mich noch? Ist das ok? Bin ich ok? Sag mir, dass ich ok bin!“.

Oder eben: „Es ist schön, wenn du da bist, aber nicht hier“. Das heißt, es ist schön, dass es da jemanden gibt, aber ich gehe eigentlich nicht wirklich in Kontakt mit der Person. Und beide Ausprägungen des Bindungstraumas führen zu ziemlich vielen Konflikten in Partnerschaften und haben letztendlich damit zu tun, was ich als Kind gelernt habe. Je nachdem, was meine Eltern von mir wollten, damit sie mir in irgendeiner Weise zeigen, dass ich doch da bin oder „geliebt“ werde.

Bindungsstörung in der Partnerschaft: Wir wiederholen unsere Erfahrungen

Das heißt, wir erleben – und das ist das Problem – und wiederholen meistens in Partnerschaften unsere Geschichte, weil Bindungstrauma dort am meisten aktiviert wird.

Wenn eine traumatisierte Person zum Beispiel in einer Partnerschaft ständig klammert oder ständig jemand sagt „Bin ich ok? Sag mir, dass du mich liebst. Oh, ich habe etwas falsch gemacht“ usw. dann gibt ein/e frisch verliebte/r Partner*in das alles noch super gerne.

Irgendwann aber kippt das Muster und der Partner oder die Partnerin fängt an genervt zu sein und sich zu distanzieren. Und dann erlebt die traumatisierte Person mit dem Bindungstrauma die Wiederholung: „Oh, ich werde zurückgewiesen. Oh, ich werde doch nicht geliebt. Oh, was habe ich falsch gemacht?“.

Und wenn beide Partner, was häufig der Fall ist, eine Bindungsverletzung haben, dann treffen meistens die Strategien aufeinander und fangen an, sich zu verselbstständigen.

Bindungsstörung in Freundschaften und Beziehungen: Vorsicht, Falle!

Und eine große, große Falle möchte ich einfach noch erwähnen: Sich einen Partner zu suchen, bei dem man eigentlich „verhungert“ und nie das bekommt, was man sich wünscht. Das ist natürlich ein sehr vertrautes Gefühl. Die Falle eines Bindungstraumas ist folgende kindliche Denkweise: „Ich muss herausfinden, wie ich sein muss, damit meine Eltern mich doch irgendwie lieben. Und wenn ich das endlich rausfinde, dann wird alles anders.“

Nur das heute mein/e Partner/in das Gegenüber ist und nicht mehr meine Eltern!! Aber das Muster, dem die traumatisierte Person als Erwachsene folgt, bleibt dasselbe.

Das sind wirklich große Fallen und auch wirklich große Herausforderungen, die wir alle auf diesem Sektor haben.
Aber auch in anderen Beziehungen und in Freundschaften zeigen sich Bindungsverletzungen. Hier sind die Strategien, die früher gelernt worden sind, häufig aber nicht ganz so aktiv.

Viele Menschen, die Entwicklungs- bzw. Bindungstrauma erlebt haben, wissen eigentlich nie so recht, wie sie sich verhalten sollen. Sie haben ein schlechtes Selbstwertgefühl und treten oftmals nicht sehr sicher auf. Andere Leute sehen das natürlich sofort. Und sehr schnell kommen wieder diese ganzen Dynamiken ins Spiel, wie Menschen miteinander umgehen und worüber dann neue Verletzungen entstehen können.

Solltest du als Kind Kontakt als etwas sehr Gefährliches erlebt haben, so ist es als Erwachsener nochmal um vieles schwieriger, mit einem Bindungstrauma in einen nahen emotionalen und/oder körperlichen Kontakt mit einem Gegenüber zu kommen. Dieser tiefere Kontakt löst im Körper und im Nervensystem immer diese alte Erinnerung aus: „Oh, wenn mir jemand nah kommt, dann ist Gefahr im Verzug!“ Das macht es natürlich überhaupt nicht einfacher, in einen tieferen und näheren Kontakt zu gehen. Hier erkennen wir gut, wie uns Traumata ein Leben lang lähmen können, wenn wir nicht an ihnen in Form einer Therapie arbeiten.

Bindung lernt man nur durch Bindung

Bindung – und das ist ein großes Dilemma – lernt man eben nur durch Bindung. Man kann es sich leider nicht anlesen. Ich brauche ein Gegenüber, dass in der Lage ist, mit mir in Beziehung zu gehen.

Letztlich brauche ich also eine starke Verbindung, wie zum Beispiel in einer therapeutischen Beziehung, wenn der Therapeut denn bindungsorientiert arbeitet. Dort dürfen diese durch das des Bindungstrauma hervorgerufenen Mechanismen langsam anfangen zu Tage zu treten und können dann auch bearbeitet und verändert werden.

Und trotzdem werden sie sich in einer Liebesbeziehung nochmal anders zeigen. Aber je mehr ich reguliert bin, beobachten kann und eine Metaebene einbringen kann, desto früher kann ich mit der Zeit einen Stopp zwischen Reiz und Reaktion setzen. Darüber wird es möglich sein, eine Veränderung trotz Bindungstrauma zu erwirken. Und das ist möglich, auch wenn Bindungssysteme wirklich sehr, sehr konsistent sind. Trotzdem kann man wesentlich mehr Stabilität erlangen. Das nennt man dann eine erlernte sichere Bindung.

Ich hoffe, diese Einblicke in das Thema Bindung und Entwicklungstrauma konnten einige Dinge für dich klären!? Es gibt wirklich kaum etwas, dass verwirrender, herausfordernder oder auch verletzender ist als der Bereich rund um Kontakt und Beziehung. Lerne in meinem Blogbeitrag auch gerne mehr über die Verlustangst, dessen Symptome und Therapie.

Du möchtest durch Traumatherapie oder Selbsthilfe etwas an deinem Zustand ändern? Dann ist mein Onlinekurs „Mit Trauma leben“ genau das Richtige für dich! Dort lernst du, wie du dich selbst optimal regulieren und aus dem Hamsterrad des Traumas ausbrechen kannst. Trage dich doch gleich für den nächsten Schnupperkurs ein.

Bindungstrauma aus psychotraumatologischer Sicht

Die Psychotraumatologie beschäftigt sich intensiv mit dem Wesen eines Entwicklungs- bzw. Bindungstrauma. Nach dieser entsteht das Trauma, wenn eine Person in dem Bindungssystem, in dem sie lebt, auf Ablehnung stößt und zurückgewiesen wird. Werden kindliche Bedürfnisse — etwa nach Liebe, Nahrung, emotionaler und körperlicher Zuwendung — von der Bezugsperson (in der Regel ist das die Mutter) nicht befriedigt, kann dies traumatisierende Auswirkungen haben und noch im Erwachsenenalter zu Selbstaufgabe und extremem Rückzug führen. Da Kinder diese frühe traumatisierende Vernachlässigung vielfach von Eltern erfahren, die selbst von einem Trauma geprägt sind, spricht man auch von Symbiosetraumata. Folgeprobleme eines Bindungstraumas können unter anderem sein:

  • Beziehungsprobleme
  • Identitätsstörungen
  • emotionale Instabilität
  • Drogen- und Alkoholkonsum
  • Suchverhalten
  • Trennungs- und Verlustangst

Des Weiteren hat sich den Begriff Bindungssystemtrauma etabliert. Hier geht es um folgenschwere Schicksalsschläge, deren Tragik und Ausmaß alle Mitglieder eines Bindungssystems traumatisiert. Auslöser für ein „kollektives“ Bindungstrauma können etwa schwere Gewalttaten oder sexueller Missbrauch innerhalb der Familie sein. Auch hier können verschiedene Therapie-Angebote der Psychotherapie helfen. An dieser Stelle möchte ich dir abschließend noch meinen Blogartikel zum Thema Trauma und Sexualität empfehlen.

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2 Kommentare

  1. Wie wahr!
    Ich habe leider auch in zwei Beziehungen genau die Verhaltens- und Bindungsmuster meiner Eltern wiederholt. Das konnte nur schief gehen.
    Es waren zwar langjährige Beziehungen, aber sehr leidvoll. Mit Durchhalte-Parolen und sehr viel Schmerz, den ich hinuntergeschluckt habe.

    Ich hätte mich jederzeit aus diesen hochgradig destruktiven Beziehungen lösen können, aber ich wollte es mir selbst nicht zugestehen. Ich wollte kein Schwächling sein. Ich war der Meinung, ich muss mich nur genug anstrengen.

    Daher war es insgesamt sehr anstrengend.
    Hinterher sieht man es natürlich anders …

    Antworten
  2. Nachdem ich in Beziehungen, egal ob es sich um eine Liebesbeziehung oder Freundschaft gehandelt hat, immer wieder das Trauma des „Verlassen werden“ durchleben musste, habe ich mich (nicht bewusst) dafür Entschieden überhaupt nicht mehr in Beziehung zu jemanden zu treten, dass hat sich ganz unbemerkt über jetzt fast 11 Jahre so entwickelt. Heute trete ich eigentlich nur noch mit meiner Therapeutin in Kontakt. Wenn aber ein traumatisches Ereignis eintritt, wie die Kündigung, die ich letzte Woche erhielt, kann ich auch zu ihr keine Verbindung herstellen.

    Antworten

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