Braucht man Erinnerung, um etwas therapeutisch bearbeiten zu können?

Kann man therapeutisch Dinge bearbeiten, an die man sich nicht erinnert?

Ist es möglich etwas zu bearbeiten, an das ich keine Erinnerung habe und von dem ich nicht weiß, was es für eine Ursache hat? Was mache ich, wenn ich mich nicht mehr erinnern kann was mit mir als Kind passiert ist? Wie kann ich daran arbeiten? Kann ich daran etwas ändern?

Die Antwort ist ja. Du kannst.

Unsere Erfahrungen prägen unser Leben

Die ersten 3 Lebensjahre sind ungeheuer prägend für uns und wir folgen den Handlungsmustern und Überzeugungen, die wir damals gelernt haben unser gesamtes Leben. Auch Prägungen in der Schule, ob wir gemocht oder gemobbt worden sind, zählen dazu. Eben die ersten wichtigen Kontakterfahrungen. Da diese Zeit uns meist nicht bewusst ist, ist es nicht leicht diesen Mustern oder ihren Ursprüngen auf die Spur zu kommen.

Doch die Auswirkungen meiner (frühen) Prägungen zeigen sich in meinem Leben. Sowohl Dinge, die mich positiv geprägt haben, als auch Dinge, die ich nicht so gut gelernt habe. Wir können dabei davon ausgehen, dass diese alten Verhaltensmuster irgendwann in unserem Leben einmal sinnvoll waren. Beispielsweise gegenüber unseren Eltern, oder in bestimmten Situationen, haben sie eine wichtige Funktion gehabt oder waren eventuell sogar lebensnotwendig. Heute können sie allerdings Probleme darstellen oder hinderlich sein für mein Leben. Dies äußert sich dann beispielsweise in meinem Alltag durch Dysregulationen, wie Ängsten oder Depressionen.

Warum Erinnerungen nicht so wichtig sind, wie wir denken

Die Idee, dass etwas, nur weil ich keine Erinnerung mehr daran habe, oder mich damit nicht beschäftigen möchte, keine Wirkung auf mein Leben hat, ist leider eine Illusion. Wir glauben etwas mehr oder minder erfolgreich verdrängt zu haben, doch es ist in unserem Körper gespeichert und übt unbewusst Einfluss auf unser Leben aus. Man kann mit dieser Illusion eine Weile leben. Für manche Menschen funktioniert dies auch ein ganzes Leben lang. Es bleibt trotzdem eine Illusion.

Dennoch ist nicht jedes Problem im Leben auf die Kindheit zurück zuführen. Doch wenn es Lebensmuster gibt, die sich immer wieder wiederholen, kann es sich sehr lohnen diese anzuschauen und zu bearbeiten. Wir können alte Muster zwar nicht aus unserem System löschen, aber wir können sie erkennen und mit neuen Mustern, die gesünder für uns sind, überschreiben.

Das gefühlte Wissen

In den ersten drei Lebensjahren, besonders im ersten Jahr, lernen wir wie man Beziehungen führt. Das bedeutet, es gibt offensichtlich eine Lerninstanz in uns, die mit einem Wissen, wie wir es heute definieren, gar nichts zu tun hat. Es ist viel tiefer, viel physischer. Wir lernen auf zwei Ebenen: im Kopf auf kognitive Weise und auf der Körperebene, also eher der Gefühlsebene.

Es macht einen großen Unterschied, wie man damit therapeutisch arbeiten kann. Es gibt viele Therapieformen, die fast nur mit dem Wissen des Verstandes arbeiten. Sie möchten Erkenntnis gewinnen und über diese Erkenntnisse Verhaltensänderungen erwirken. Dies umfasst die meisten Gesprächstherapien und beschreibt eine Methode.

Die andere Methode stellt das gefühlte Wissen in den Fokus, prozedurales Gedächtnis genannt. Wenn Du als KlientIn vor mir sitzt und wir sprechen über ein bestimmtes Thema, beobachte ich sehr genau, was Dein Körper dazu sagt. Ich sehe auch ob Du ihn überhaupt spürst, während Du mit mir redest. Dabei achte ich auf jede noch so kleine Bewegung oder Reaktion in Deinem Ausdruck und kann lesen, ob Du Stress hast oder dem Thema lieber ausweichen möchtest.

Alles ist in unserem Körper gespeichert

Mit diesen Körperinformationen können wir anfangen zu arbeiten und wirklich begreifen, wie etwas in Dir gespeichert ist. Wir sehen welche Bilder und Erfahrungswissen Du zu bestimmten Themen hast.

Dieses Erfahrungswissen ist uns oft nicht bewusst, das heißt, wir haben quasi eine Art Doppelwissen, zu dem wir kognitiv, also mit dem Verstand, keinen Zugang haben. Zum Beispiel weiß ich durch meinen Verstand, ich bin eigentlich gut in meinem Beruf. Trotzdem zweifel ich ständig an meinen Kompetenzen, habe das Gefühl mich beweisen zu müssen und bin dadurch unzufrieden und ständig gestresst. Ich habe in diesem Moment keinen Zugriff auf mein gefühltes Wissen, dem Wissen, dass sich tief in mir als eine bestimmte Wahrheit gespeichert hat.

Dieses Wissen teilt mir nämlich möglicherweise etwas ganz anderes mit als mein Verstand theoretisch von mir weiß. Wenn ich lerne einen Zugriff auf dieses Wissen, auf mein Körpergefühl, zu erlangen, wird mir klar, dass dort Gefühle sind, die mich unbewusst beeinflussen. Beispielsweise fühle ich, dass ich immer kämpfen muss, damit ich gesehen werde, dass ich nichts wert bin und immer mehr als andere leisten muss.

Den Zugan​​​​g finden

Das heißt, wir können durch das Spüren einen bewussteren tieferen Zugang zu unseren Prägungen bekommen, zu denen wir keine Erinnerung mehr haben und deren Ursachen wir nicht kennen.

Auf diese Weise arbeite ich mit meinen KlientInnen. Ich spüre was im Körper meines Gegenübers passiert und versuche über diesen inneren prozeduralen Ausdruck von einer Person auch unterhalb dieser kognitiven Wissensebene zu kommen. Wichtig ist es die Person dort abzuholen und wieder in den Kontakt mit sich selbst und mit dem, was verborgen war, zu bringen.

Du kannst also therapeutisch Dinge bearbeiten, auch wenn Du Dich kognitiv nicht an sie erinnerst, weil sie sich trotzdem im Hier und Heute ausdrücken. In Deinem Verhalten, in dem, wie Dein Leben läuft und vor allem auch in Deinem Körper, in Deinen Spannungsmustern und in Deinem Ausdruck. Es funktioniert tatsächlich.

Der Körper vergisst nichts und sagt immer die Wahrheit!

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