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Warum bin ich so erschöpft?

von | 10.11.2022 | 11 Kommentare

Es ist Herbst geworden und die Blätter sind bunt, die Tage werden kürzer und kühler. Die Natur fängt an sich zurückzuziehen und herunterzufahren. Es wird stiller draußen und gleichzeitig ist überall Fülle und Erntezeit.

Heutzutage haben wir uns weitgehend aus dem Rhythmus der Natur und der Jahreszeiten ausgeklinkt. Wir sind konstant am Arbeiten, am Machen und am Tun. Oder erholen uns, indem wir noch mehr tun oder unser Gehirn unter einen konstanten Strom von Bildern und Informationen setzen. Und dann glauben, dass wir uns dabei erholen.
Aus meiner Sicht liegt das insbesondere an folgenden zwei Faktoren:

  • Wir leben in einer Zeit der sympathikotonen Non-Stopp Erregung und Belastung.
  • Wir leben in einem konstanten Dopaminrausch.
  • Was bedeutet das?

    Erschöpft durch Dauer-Erregung

    Unser Nervensystem besteht aus zwei Hauptzweigen, dem sympathischen und parasympathischen Zweig. Beide haben sehr unterschiedliche Aufgaben. Der sympathische Teil sorgt dafür, dass wir wach und bereit sind zu handeln. Er ist aktiviert, wenn wir etwas tun, neugierig sind, Sport machen, arbeiten und natürlich auch, wenn wir Stress haben oder auch nur Stress empfinden. Dieser Teil des autonomen Nervensystems ist auch für den Kampf- und Flucht-Reflex zuständig, der immer aktiviert wird, wenn wir Stress haben. Selbst, wenn dieser Stress nur in unserem Kopf stattfindet.

    Wie Marc Twain schon sagte: „Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt, doch zum Glück ist das meiste davon nie eingetroffen.“

    Wenn der Körper nicht zur Ruhe kommen kann

    Durch traumatische Erfahrungen ist das Nervensystem oftmals in einem kontinuierlich übererregten Zustand gefangen. Es bleibt 24 Stunden am Tag wachsam, weil wir tief in uns noch nicht verstanden haben, dass die traumatischen Ereignisse vorbei sind (zumindest für die meisten von uns). So bleibt man beständig in Habacht-Stellung und ist dadurch mit der Aufmerksamkeit im Außen gefangen – denn von dort kommt ja die vermutete Gefahr.

    Sobald man sich hinsetzt oder zur Ruhe kommt, fängt dann die Unruhe an. Man fühlt sich hibbelig oder beginnt, darüber nachzudenken, was gerade noch alles gemacht werden müsste. Oder man merkt, wie schlecht man sich eigentlich fühlt, und entschließt sich, lieber etwas anderes zu tun.

    Was Dopamin mit Erschöpfung zu tun hat

    Der zweite Faktor, unsere inzwischen gesellschaftliche Dopaminsucht, unterstützt die Ruhelosigkeit und hält uns – wenn wir nicht sehr aufpassen – in einer Dauerschleife von Anregungen gefangen.
    Dopamin ist ein wichtiger Neurotransmitter. Es wird ausgeschüttet, wenn wir etwas wollen, wenn etwas neu ist oder etwas unsere Neugier erregt. Dopamin gilt als das Glücks- und Motivationshormon in unserem Körper.

    Inzwischen haben es vor allem Social Media Plattformen geschafft, diesen Botenstoff quasi zu kapern und für ihre Zwecke einzusetzen. Jedes Ping deines Smartphones, jede neue Ankündigung von E-Mails oder Beiträgen setzt dein Gehirn unter Dopamin und sorgt dafür, dass du möglichst viel Zeit auf den Plattformen verbringst.

    Leider gibt es auch eine Schattenseite, die Dopaminermüdung.
    Der Körper hat dafür gesorgt, dass ein Zuviel an Dopaminausschüttung negative Konsequenzen hat. Man fühlt sich motivationslos, bekommt u.U. sogar Schmerzen und fühlt sich einfach schlecht (wer mehr darüber lesen möchte: „Die Dopamin-Nation“ von Dr. Anna Lembke).

    Erschöpfung baut sich langsam auf

    All diese Faktoren (und bestimmt gibt es noch mehr) führen dazu, dass wir langsam, aber sicher in die Erschöpfung gleiten. Das beständige Feuern von Stresshormonen erschöpft den Körper auf vielen Ebenen und damit auch die Psyche. Die Erschöpfung ist Ausdruck der inneren Imbalance oder Dysregulation, die im Laufe der Zeit ihren Tribut von uns fordert.

    Leider fühlen wir dies oft erst, wenn wir schon mitten in der Erschöpfung sind und Symptome entwickeln. Das liegt daran, dass gerade Traumabetroffene ihren Körper oft nicht wirklich fühlen und damit auch oftmals die feineren Hinweise des Körpers, dass er Ruhe braucht, nicht wahrnehmen.

    Was dein Körper wirklich braucht

    Unser Körper ist nicht dazu gemacht, ständig „ON“ zu sein. Wir brauchen Zeiten des Rückzugs, der Stille und Ruhe. Zeit, in der wir uns nach innen wenden und bei uns landen können. In diesen Zeiten wird der Parasympathikus aktiv. Viele unserer körperlichen Reparatursysteme können nur dann arbeiten.

    Es ist letztlich wie in einer Partnerschaft, in der man 1000 Dinge miteinander unternimmt, aber niemals wirklich beieinander ankommt, kaum miteinander redet und nie wirklich füreinander präsent ist.
    Diese Partnerschaft haben wir auch mit uns selbst. Wie gestaltest du sie?

    In meinem heutigen Video versuche ich, das Phänomen der allgemeinen Erschöpfung noch weiter zu erklären:

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    Sich zu spüren braucht Mut

    Sich nach innen zu wenden und sich selbst zu spüren mit allem, was da ist, braucht oft Mut und manchmal auch die Kraft, sich von allem loszureißen, was man noch so tun könnte. Aber je mehr du das tust, desto mehr wirst du dich spüren und kommst dir näher. Das lohnt sich, auch wenn es manchmal schmerzlich ist.

    Erschöpfung hat viel damit zu tun, dass wir uns zu wenig spüren und innerlich regulieren können. Falls du lernen möchtest, dich besser zu regulieren und mehr Zugang zu deinem Körper zu bekommen, dann trage dich hier für den kostenfreien Schnupperkurs von „Mit Trauma leben“ ein.

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    11 Kommentare

    1. Vielen Dank für den schönen Beitrag und die hilfreichen, klaren Erläuterungen.
      Dir auch ein schönes Herbstwochenende

      Antworten
    2. Ich würde gerne den Beitrag von Anne … zum Dopamin lesen. Ich klickte drauf, doch kam nicht zum angezeigten Text. Könntet ihr mir einen Link schicken, der Funktioniert? Oder den Text von ihr?
      Vielen Dank
      Liebe Grüße
      Meike

      Antworten
      • Hallo Meike, das ist nur der Buchtitel und die Verlinkung zu einem Buchladen. Das ist kein pdf Text.
        Gruß, Dami

        Antworten
    3. Liebe Dami, wieder ein sehr interessanter Artikel/Video von dir. Vielen Dank!! Der Link von Frau Dr. Lembke führt mich allerdings nur zu Wikipedia. Ist das so gewollt?
      LG, Natalie

      Antworten
    4. Liebe Dami Charf, ich nehme an dem Kurs, „ mit Trauma leben“ teil.

      Die Beiträge sind das Treffenste, was ich in meiner über 40-jährigen Suche gesehen bzw. gelesen habe.
      Es gibt mir aber auch eine Vorstellung davon, wie viel sich hierbei in meinem Leben bewegen sollte.
      Bin inzwischen 64 Jahre alt und durch so manches schlimme Tal gegangen.
      Habe mir vorgenommen durchzuhalten, wird aber nicht leicht werden.

      Vielen herzlichen Dank, dass Sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen teilen!

      M. WALDINGER

      Antworten
    5. Vielleicht hat die Erschöpfung unter der viele leiden, weder mit post-covid noch mit post-vacc zu tun, sondern mit der penetranten Panikmache von Seiten der Politik. Permanente Re-Traumatisierung. Psychischer Dauer-Kriegszustand. Und Menschen die nur noch im Überlebensmodus agieren, kann man hervorragend lenken und manipulieren, sie machen alles mit, lassen alles mit sich machen.

      Antworten
    6. Vielen Dank für den informativen Artikel und das Video. Das lässt mich anders auf meine scheinbare Unfähigkeit zu entspannen, und was das mit mir macht, blicken. Ich schicke den Artikel und das Video auch an meine Kinder. Wir alle haben die Neigung, Erschöpfung mit Medienkonsum (Filme, YouTube-Videos etc.) zu „bekämpfen“. Das fühlt sich leichter an, als die Schuhe anzuziehen und rauszugehen.
      Noch einmal ganz herzlichen Dank für deine großartige Arbeit, Dami. Ich finde auch deinen Kurs „Mit Trauma leben“ sehr sehr gut. Viele Grüße, Silke

      Antworten
    7. Keine Lehre lehrt so wahrhaftig und echt – wie das Leben!
      Ich glaube dass alles was lebt versucht sich selbst zu heilen. Das ist der urinstinktive Automatismus, der zugleich Wünsche und Bedürfnisse hervorbringt und ebenso den Willen schärft diese Vollkommenheit wieder zu erlangen. Wir sehnen uns (so finde ich) das ganze Leben lang danach heil und in Frieden zu sein! Darauf baut sich unser Verhalten, Denken, Fühlen und natürlich gleichermaßen auch der Kontakt nach innen und außen auf. – Und selbst Schmerz ist dann „nur“ eine Phase der Regenaration unserer Seele. (Anita Lindert)

      Den Mut zu haben sich zu spüren ist der Weg dorthin, zur Lebendigkeit!

      Antworten
    8. Hallo Markus,
      naja, Covid ist ganz real eine Bedrohung. Das alleine reicht schon aus, um uns in einen ziemlichen Stress zu versetzen. Alles rund um Covid ist aber ein Thema für sich.
      Und dann geht es ja hier in erster Linie um das Thema Trauma, also in der Regel weit zurückliegende Traumatisierungen.

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