Geburt – Weichenstellung für unser Leben

Das Video heute ist ein Interview mit meiner Kollegin Sigrid Plate. Sie hat sich die letzten Jahre in die Prä- und Perinatale Psychotherapie eingearbeitet. Gerade die Zeit vor, während und nach der Geburt ist sehr prägend für unsere Psyche und damit für unser Leben.

Die Geburt ist ​das Ereignis, das Bindung schafft

Einige psychotherapeutische Schulen und Menschen glauben, dass die Geburt per se traumatisch für uns ist. Das glauben wir definitiv nicht. Warum sollte die Natur etwas entwickeln, das uns schadet und uns in unserer Lebendigkeit und Lebenstauglichkeit einschränkt?

Das ergibt für uns aus unserer Perspektive keinen Sinn. Die Geburt kann ein wundervolles und tief berührendes Ereignis für die Eltern und das Kind sein. Die Geburt kann die Familie zusammenbringen und verbinden.

Aus Sicht der Bindungstheorie ist die Geburt DAS Ereignis, das Bindung schafft und somit Weichen stellt für die weitere Verbindung von Eltern und Kind.

Die Geburt kann allerdings auch traumatisch verlaufen und tiefe Traumaspuren beim Kind, der Mutter oder dem Vater hinterlassen.
Es ist aber möglich, diese aufzuarbeiten und zu integrieren.
Wichtig dabei ist, dass den Betroffenen zunächst bewusst wird, dass ihre Geburt bei Ihnen Spuren hinterlassen hat.

Die Geburt ist nicht der Anfang

Unsere bewusste Erinnerung setzt im Alter von ca. 3 Jahren langsam ein. Normalerweise erinnern wir bis dahin höchstens Fragmente und Erinnerungsblitze. Erst ab dem 3. Lebensjahr bildet sich das sogenannte biographische Gedächtnis und wir beginnen eine eigene Geschichte über uns selbst zu entwickeln.Das Leben davor ist nebulös bis gar nicht vorhanden. Man spricht von der sog. „kindlichen Amnesie“. Dies veranlasst manche Menschen zu denken, dass diese Zeit nicht so bedeutsam ist oder Ereignisse, an die man sich nicht erinnert, auch keine Wirkung haben.

​Das implizite Gedächtnis prägt unser Leben

Das Gegenteil ist der Fall!

Die Forschung weiß inzwischen, dass die Gedächtnisbildung und Formung psychischer Muster durch Erfahrung bereits ab dem 3. Schwangerschaftsmonat beginnt. Diese Form des Gedächtnis nennt man implizites Gedächtnis und ist für unser Leben mindestens genauso wichtig, wie das explizite Gedächtnis. Im expliziten Gedächtnis ist alles gespeichert, was wir abrufen und erzählen können.

​​Erfahrungen und Lebensmuster werden gespeichert

Das implizite Gedächtnis speichert unsere Erfahrungen und Lebensmuster.

Hier entspringen unser gefühlsmäßigen Reaktionen, unsere Verhaltens- und Denkmuster. Verkürzt lässt sich behaupten, dass die Inhalte des impliziten Gedächtnisses unser Leben bestimmen.
Die Zeit vor der Geburt ist also schon prägend für die Art und Weise, wie wir die Welt erleben. Babys fangen z.B. manchmal schon im Mutterleib an für ihre Mutter zu sorgen, wenn sie spüren, dass diese Stress hat oder überfordert ist. Jeder emotionale Zustand der Mutter schwappt ungefiltert in das System des Säuglings und hinterlässt Spuren.

Meilenstein Geburt​

Die Geburt ist dann ein weiterer Meilenstein in unserem Leben, der uns tiefgreifend prägt. Der Prozess der Geburt wird sowohl vom Baby als auch von der Mutter eingeleitet, wenn alles gut läuft, ist es ein bestärkender Prozess und ein tolles Erfolgserlebnis für beide. Durch den Geburtsprozess lernt das Kind seine erste Erfahrung von Selbstwirksamkeit, da es auch durch die eigene Anstrengung durch den Geburtskanal auf die Welt kommt.

Die Geburt ist äußerst aufregend für das Baby und viele Hormone werden im Geburtsprozess ausgestoßen, ebenso wie bei der Mutter. Eines der wichtigsten Hormone ist Oxytocin, das Bindungshormon. Es sorgt dafür, dass Mutter und Kind sich ineinander verlieben und Bindung entsteht.

Erfahrung, die uns nachhaltig prägt

Wird dieser Prozess unterbrochen durch einen Kaiserschnitt, Anästhesien oder ärztliche Maßnahmen, so entsteht Angst und Stress bei Mutter und Kind. Das beschert dem Kind erste prägende Erfahrungen und es erfährt, dass die Welt vielleicht ein beängstigender Ort sein kann.

Außerdem erfährt es zum ersten Mal das Alleinsein. Neun Monate war die Stimme und der Herzschlag von Mama die ständige Begleitung in seiner Welt. Nun sind es plötzlich Stille (im besten Falle) oder sogar grelles Licht oder laute Krankenhausgeräusche, die auf das Kind eindringen.

All diese Erfahrungen finden implizit statt – deshalb sind sie umso prägender. Es ist ein langer Weg sich dieser Muster bewusst zu werden und vom impliziten ins explizite und benennbare zu holen. Dennoch können wir erst dann beginnen, neue Erfahrungen zuzulassen und unser Bild von der Welt und uns zu verändern.

Es ist möglich und realisierbar!

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