Immer wieder kann man lesen, dass wir als Menschen ca. 60.000 Gedanken am Tag haben sollen. Geht man auf die Suche nach Belegen für diese Zahl, so landet man im Nichts. Es gibt keine Studien, die diese Zahl belegen. Es ist eine moderne Legende, wie einige Dinge, die in der Psychowelt kursieren.
Allerdings gibt es eine Studie aus dem Jahre 2020 von JULIE TSENG und JORDAN POPPENK von der Queen’s University. Laut dieser Studie mit 184 Teilnehmenden deutet die Forschung darauf hin, dass wir eher auf etwa 6.000 Gedanken pro Tag kommen, wenn man ihre Ergebnisse extrapolieren würde.
Dennoch sind auch 6.000 Gedanken eine Menge.
Tatsächlich geht man davon aus, dass wir viele dieser Gedanken immer und immer wieder haben – wir also in einem Netz sich wiederholender Gedankenströme gefangen sind. Dazu kommt, dass uns natürlich die meisten unserer Gedanken nicht bewusst sind.
Warum schreibe ich über die Zahl unserer Gedanken?
Mir fällt auf, dass viele Menschen sich immer mehr in ihren eigenen Gedanken verfangen und darin verloren gehen.
Gedanken können ein Irrgarten sein, in dem wir hin und her rennen und dabei aber das Gefühl haben, immer neue Dinge zu entdecken. Nur von außen sieht man, dass jemand sich im Kreis dreht. Ein Lehrer von mir sagte, unser Kopf sei wie ein Prisma. Man schaut hindurch und sieht immer neue Formen, ist aber immer noch im gleichen Prisma.
Manche Menschen – und dazu gehören leider auch viele Menschen, die von Trauma betroffen sind – trauen anderen Menschen so wenig, dass sie nur auf sich selbst hören. In der Biologie oder auch der Systemtheorie nennt man diese Systeme „selbstreferentiell“.
Selbstreferenzielle Systeme sind „operational geschlossen“. In ihren Prozessen beziehen sie sich nur auf sich selbst und greifen nicht in ihre Umwelt hinaus. Wikipedia
Unser Verstand kann ein Irrgarten sein, in dem wir uns verirren
Ich erlebe immer wieder, dass Menschen in Not sind und sogar den Schritt gehen und Hilfe suchen, dann aber keine Spiegelung von außen annehmen. Sobald etwas nicht mit ihren Vorstellungen und Überzeugungen von sich selbst oder der Welt übereinstimmt, blockieren sie und beharren auf ihrem Selbstbild und ihren Vorstellungen, wie die Welt funktioniert.
Ich stelle dann immer diese Frage:
Wenn du doch weißt, wie alles funktioniert, warum bist du dann hier? Du müsstest total glücklich und zufrieden sein.
Unser Verstand kann ein Irrgarten sein, in dem wir uns verirren:
Wir glauben, Dinge verstanden zu haben.
Wir glauben zu wissen, was mit uns los ist.
Wir glauben zu wissen, was verändert werden müsste.
Und sind doch total verloren.
Jede und jeder von uns kennt Zeiten oder zumindest Momente, in denen wir uns in unserem eigenen Kopf verirrt haben.
Manchmal ist es sinnvoll anzuerkennen, dass jemand anderes weiser ist als wir oder zu einem spezifischen Thema mehr weiß als wir selbst, und diesen Menschen dann zu ermächtigen, uns Rückmeldung zu geben.
Dabei geht es mir nicht um eine blinde Folgsamkeit oder das Annehmen jeden Ratschlags bei Instagram.
Es geht darum, offen dafür zu sein, die eigenen Gedanken, Rückschlüsse und Wahrheiten in Frage zu stellen und die Spiegelungen von anderen Menschen dabei zu berücksichtigen. Vor allem die Spiegelungen, die man mehr als zweimal bekommt.
Das braucht immer wieder Mut und Ehrlichkeit mit sich selbst. Und manchmal wird das eigene Selbstbild dabei etwas ramponiert.
Doch das ist gut. Wir können nicht wachsen, wenn wir uns nicht in Frage stellen.
Es gibt keinen Weg zu echtem Wachstum, der nicht auch ein bisschen weh tun würde.
Feedback zu meinen Gedanken von anderen annehmen lernen
Es ist weise, immer wieder auch andere Menschen, die ich für vertrauenswürdig oder kompetenter als mich halte, um Rat oder Feedback oder ehrliche Spiegelung zu bitten.
Wenn du das tun möchtest, dann ist es wichtig, dieses Feedback erst einmal anzunehmen und Danke zu sagen.
Bitte wehre es nicht ab, weil es dir womöglich nicht gefällt. Ermuntere Menschen ehrlich zu dir zu sein. Das bedeutet, dass diese Menschen danach nicht in irgendeiner Weise von dir abgestraft werden sollten, und sei es noch so subtil. Tust du das, wird dir sehr schnell niemand mehr eine ehrliche Rückmeldung geben.
Und wenn du gefragt hast und eine gute Antwort bekommen hast, dann versuche das, was du gehört hast, umzusetzen.
Das ist der wichtigste und schwierigste Teil!
Ich habe in meinem Leben Spiegelungen bekommen, an denen ich Jahre gearbeitet habe. Das ist okay, weil es um Verhaltensweisen ging, die nicht gut waren.
Unser Gehirn ist faul
Unser Gehirn ist dafür da, unserem Leben und allem, was geschieht, Bedeutung zu verleihen. Unser Gehirn bewertet und denkt immer. Und es versucht beständig, uns am Leben zu erhalten. Es greift dafür auf die Informationen zurück, die es bereits aus der Vergangenheit besitzt, und nutzt die Informationen, die es durch die Sinnesorgane bekommt. Aufgrund dieser Informations-Mischung versucht unser Gehirn, eine gute Entscheidung für unser Überleben zu treffen.
Letztlich geht es dabei so kraftsparend wie irgendwie möglich vor, denn das Gehirn ist zwar klein, verbraucht aber ca. 20 % unserer Energie. Alles, was wir tun, denken und fühlen, hat für uns metabolische Kosten.
So denken wir normalerweise nicht, aber unser Körper muss in einem metabolischen Gleichgewicht gehalten werden, damit alles funktioniert. Werden die Kosten an bestimmten Stellen zu hoch, z.B. durch unsere traumatische Vergangenheit, so haben wir eben nicht nur psychische Symptomatiken, sondern oft auch physische. Selbstregulation hat nicht nur eine psychische Bedeutsamkeit, sondern vor allem auch eine physiologische.
Unserer biologischen „Faulheit“ entgegentreten
Da das Gehirn also immer Energie sparen will, neigen wir als Menschen dazu, nicht mehr in Frage zu stellen, was wir einmal gelernt oder als wahr abgespeichert haben. Oftmals ist es uns nicht einmal bewusst, dass das so ist. Vieles ist uns so selbstverständlich, dass wir gar nicht darauf kommen, dieses Wissen in Frage zu stellen.
Leider betrifft das oft auch uns selbst oder unsere Meinung darüber, wie das Leben ist.
Wir können dieser biologischen „Faulheit“ entgegentreten, indem wir uns öfter fragen:
- Woher weiß ich das eigentlich?
- Woher weiß ich, dass das wahr ist oder das etwas falsch ist?
- Warum glaube ich das?
Manchmal wird es dir dann sicher so gehen wie mir, als ich nach Belegen zu der überall im Netz zu findenden Anzahl unserer Gedanken geforscht habe – wir stellen fest, dass wir keinerlei Belege für dieses Wissen, diese Überzeugungen finden.
Wir lernen zu differenzieren und folgen immer öfter dem Spruch: „Glaub nicht alles, was du denkst!“
Und trauen uns auch bei anderen zu fragen: „Woher weißt du das? Warum glaubst du das?“
So können wir gemeinsam aus diesem inneren Irrgarten, in dem wir uns so oft bewegen, heraustreten und neue Dinge entdecken. Neugierig auf uns selbst und andere Menschen werden und uns selbst und unsere Meinungen nicht mehr ganz so ernst nehmen.
PS: Auch die Geschichte von dem Frosch, der nicht aus dem Topf springt, wenn das Wasser langsam erhitzt wird, und der dann quasi verkocht und stirbt, ist nichts anderes als das: eine Geschichte.
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