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Helgrits Tagebuch – Lebensprozesse und Prozessgruppe

von | 07.10.2020 | 3 Kommentare

Im Februar 2018 machte ich mich das erste Mal auf den Weg nach Göttingen zur Prozessgruppe. Voller Erwartungen, voller Erregung, die ich mal als Angst und mal als Freude und Neugier interpretiert habe.

Wir sind mit 16 Frauen in das Abenteuer „Lebensprozesse“ gestartet und jede von ihnen kann ihre eigene Geschichte darüber erzählen.

Das hier ist meine. Geprägt von meinen ganz subjektiven Erfahrungen und Erinnerungen.

Wenn es dich interessiert, dann kannst du hier noch einmal nachlesen, was mich in die Prozessgruppe geführt hat:

Helgrits Tagebuch – Krise und Wendepunkt
Helgrits Tagebuch – Schritte aus der Depression und Therapie
Helgrits Tagebuch – Mein Körper und ich

Die ersten Kontakte

Was habe ich alles versucht, um mich möglichst gut auf die Prozessgruppe vorzubereiten! Das Wenigste davon hat wirklich funktioniert, in Stresssituationen geht die Wirksamkeit solcher Vorhaben sehr schnell verloren. Jedenfalls bei mir.
Aber es war ein erster Schritt in Richtung Selbstfürsorge, etwas, was ich vorher selten für mich getan hatte.
Es berührt mich immer noch, wenn ich den Motivationsbrief lese, den ich mir selbst geschrieben habe. Voll von Anerkennung, Vorfreude, guten Ratschlägen und Übungen, die ich im Onlinekurs gelernt hatte.
In der Realität wurde aus der Orientierung ein verängstigtes Abscannen der Umgebung und das Atmen habe ich immer wieder vergessen.

Während der Begrüßungsrunde wurde mir so langsam klar, dass es den anderen wohl ganz ähnlich wie mir geht und durch die Übungen in kleinen Gruppen gab es dann die ersten schüchternen Kontakte untereinander.
Diese ersten Erfahrungen miteinander zu teilen war ein großer Türöffner, das alles ganz behutsam und liebevoll begleitet durch Dami, Siggi und ihren Assistentinnen.

Die ersten Übungen

Es gab schon am ersten Wochenende so viel zu entdecken. Wie es sich anfühlt, wenn man die Körperhaltung eines anderen einnimmt, zum Beispiel. Oder wie es für sie ist, wenn sie sich so hinstellen wie ich, und was man dabei schon alles über den anderen erfahren kann.

Das nachhaltigste Erlebnis für mich war meine Reaktion darauf, in den Arm genommen zu werden. Einfach so, ohne dass ich etwas dafür leisten musste. Während mein Kopf noch glaubte, dass ich das nicht unbedingt brauche, hat sich mein Körper mit einem tiefen Atemzug entspannt. Spätestens ab diesem Moment war mir klar, dass mir mein Körper viel zu sagen hat und es Zeit wird ihm genauer zuzuhören.

Ziemlich verwirrt, aber auch voller Hoffnung und Zuversicht machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich hatte Schwierigkeiten dort zu landen. Es war, als hätte sich die Tür zu einer ganz neuen Welt geöffnet und mein „altes Leben“ fühlte sich an wie eine Jacke, die zwar gewohnt, aber nicht mehr richtig passend war.

Verbindungen

Es ist schwierig alle Erlebnisse und Erfahrungen, die ich in dieser Zeit gemacht habe, in einen Artikel zu packen. Es gibt Dinge, die man nicht beschreiben kann, sondern erfahren muss.

Eine der schönsten Erinnerungen ist für mich der Umgang innerhalb der Gruppe miteinander.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich in so kurzer Zeit auf solche intimen und vertrauensvollen Begegnungen einlassen kann. Ich fühlte mich beschützt und so angenommen, wie ich bin.

Die ersten Übungen

Die meisten Übungen haben wir in kleinen Gruppen gemacht. Wir haben gelernt, uns gegenseitig in unseren Prozessen zu unterstützen. Oft waren sie mit schmerzhaften Erinnerungen oder Empfindungen verbunden. Aber die Erfahrung, dabei gehalten und in den Arm genommen zu werden, war ein riesiger Schatz für mich und hat mir das Gefühl gegeben, nicht so allein und verloren in der Welt zu sein.
Sehr gern denke ich an die Momente zurück, wenn wir erschöpft beieinander saßen, so eng, wie ich es vorher kaum zulassen konnte.
Die Stimmung, die dann im Raum herrschte, war ganz besonders und ist kaum zu beschreiben.

Auch zwischen den Wochenenden wurde der Austausch untereinander immer vertraulicher und offener. Das war für mich eine große Stütze, denn der Unterschied zwischen dem, was innerhalb der Gruppe möglich war und meinem Alltag wurde für mich immer schwerer auszuhalten.

Bedürfnisse und Alltagsrealität

Mit jedem Schritt und jeder neuen Erfahrung, die ich in der Prozessgruppe machte, wurde die Kluft zwischen dem, wo ich hinwollte und da wo ich stand größer. Es war, als wollte ich von einem Ufer zum anderen und es gab keine Brücke. Mir wurde klar, dass ich diese Brücke nur selbst bauen kann und oft bin ich daran verzweifelt.

Etwas anders zu machen als gewohnt ist leichter gesagt, als getan. Immer wieder standen mir meine Ängste und alten Verhaltensmuster im Weg. Und ich habe die unangenehme Bekanntschaft mit meinen tiefsten Überzeugungen über mich selbst gemacht.

Ich konnte sehen, was in meinem Leben nicht mehr stimmig war, was ich gern verändern möchte. Aber mir fehlte nicht nur der Mut, sondern auch die Idee, wie diese Veränderungen denn konkret aussehen sollen. In den vielen Jahren des Funktionierens hatte ich den Zugang zu mir selbst und meinen eigenen Bedürfnissen verloren.

Es brauchte Zeit und Geduld, um diesen Faden wieder aufzunehmen.
Da ich am Ende der ersten Gruppe noch mitten in diesem Prozess war, habe ich im Herbst den Anmeldebogen für die nächste Prozessgruppe ausgefüllt. An diesem Tag ging es mir nicht so gut und ich habe ziemlich verheult und mit dem Mut der Verzweiflung den Umschlag in den Briefkasten gesteckt. Diese Enscheidung hat sich gelohnt!

Veränderungen

Veränderungen zu beschreiben fällt mir schwer. Wenn es nicht gerade die „großen Sachen“ sind, wie eine Trennung, ein Umzug oder ein Jobwechsel.

Wie oft habe ich während der Prozessgruppen gedacht: “Nichts! Es verändert sich nichts!“ Da „Schuld“ ja ein nicht unerheblicher Bestandteil meiner Muster ist, war es dann immer klar, dass ich zu dumm bin, zu faul, zu…

Aber das stimmt so nicht.
Veränderungen bestehen aus kleinen Schritten. Sie brauchen Zeit und das genaue Hinsehen, um zu trennen, was ein Dauerthema ist und in welchen Situationen ich anders gedacht oder gehandelt habe. Letzteres geht meistens Hand in Hand, und zu sehen ist es erst, wenn es sich längst etabliert hat. Die „großen“ Entscheidungen und Veränderungen sind daraus entstanden. Und es gab einen Zeitpunkt, an dem ich nicht mehr anders konnte, als zu springen.

Ich habe gelernt, dass Beziehungen zu anderen Menschen eines meiner größten Bedürfnisse ist und Körperkontakt dazu gehört. Und wie tief eine Verbindung werden kann, wenn man sich traut, sich zu öffnen und verletzlich zu zeigen.

Die Dinge in meinem Leben, die mir etwas bedeuten, erlebe ich immer intensiver, ich bin dabei mehr und mehr wirklich anwesend.

Von Selbstregulation hatte ich vor der Begegnung mit Dami keine Ahnung. Inzwischen hilft sie mir dabei, mich nicht ungebremst in jeden Strudel meiner Gefühle fallen zu lassen. Nur dadurch kann ich mein Leben immer selbstbestimmter gestalten.

Das alles ist ein Prozess, ein Weg, der nicht immer geradlinig ist.

Es ist ein Weg des Ausprobierens und ich mache Fehler dabei. Manche lassen sich wieder bereinigen, andere nicht und ich trage die Verantwortung dafür und die Konsequenzen.

Das ist alles andere als leicht.

Aber es ist auch das Leben, mit allen seinen Schwierigkeiten und mit allem Schönem, was es bereit hält.

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3 Kommentare

  1. Ich heiße Ute-Helgrid.
    Mir Ist noch eine andere Helgrit begegnet. Deshalb liebe Grüße 😉

    Antworten
  2. Liebe Helgrit,

    wieder einmal habe ich viele Parallelen zu dem wie es Dir ging, vieles kenne ich.
    Seit mehr wie einem Jahr bin ich am überlegen mich für die Prozessgruppe anzulmelden, doch wie finazieren ?
    bin zeitweise Rollstuhlfaherin, habe einen kranken Hund, der dabei sein müsste, all das bremst mich und traue mich nicht zu fragen ob es eine Möglichkeit geben könnte. Und gleichzetig bin ich erstaunt, das ich HIER schreibe
    aber doch, da ich mich, weil ich von Dami viel gelernt habe, besser verstehe, auf diese weise, nehme ich indirekten Kontakt auf, frage ich nicht und kann kein NEIN bekommen.
    Damit habe ich in den letzten Jahren sehr große Probleme.
    Ich bleibe dran, vielleicht finde ich irgendwann einen Weg für mich.

    Danke, das Du hier über Dich und Deine Lebensprozesse schreibst.

    viele liebe Grüße

    Inga

    Antworten
  3. Liebe Uta-Helgrid, 🙂

    Liebe Inga, vielen Dank! ich dachte am Anfang auch, dass es für mich nicht möglich ist, diese Prozessgruppe zu besuchen. Aber ich wollte es so sehr, dass sich dann doch Wege gefunden haben. Also, wer weiß….?

    Liebe Grüße von Helgrit

    Antworten

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