Helgrits Tagebuch – Schritte aus der Depression und Therapie

Wie überwindet man eigentlich diese lähmende Erstarrung in einer depressiven Phase und was kann ich von einer Gesprächstherapie erwarten? Und was eben nicht! Was muss ich selbst tun und was brauche ich noch dafür?
Mit diesen Fragen habe ich mich 2016 auseinandergesetzt und meine ganz persönlichen Erfahrungen gemacht. Darüber möchte ich dir heute mehr erzählen.

Wenn du gern wissen möchtest, wie es für mich begonnen hat und was mich dazu gebracht hat, mich auf den Weg zu machen, dann kannst du das hier lesen:
Helgrits Tagebuch – Krise und Wendepunkt

Aus der Depression laufen

Das Jahr 2016 war für mich schon besonders. Und ein Loslaufen. Im wahrsten Sinne des Wortes. So viel, wie ich da durch die Gegend gelaufen bin und was es alles zu entdecken gab. Und dass ich das sehen konnte. Das war einfach die gewünschte Magie und sogar meine eigene!

Es waren eher gesundheitliche Probleme, die mich zum Laufen gebracht haben.
Mein Blutdruck war zu dieser Zeit zu hoch und da ich keine Lust auf Tabletten hatte, bekam ich von meinem Hausarzt ein Ultimatum gestellt. Ich hatte ein halbes Jahr Zeit das Problem selbst in den Griff zu bekommen.
Und so bin ich auf die morgendlichen Spaziergänge gekommen.

Am Anfang war es jedes Mal eine große Überwindung. Sich aus einem depressiven Zustand heraus in Bewegung zu bringen ist eine Herausforderung, die wahrscheinlich nur diejenigen mit ähnlichen Erfahrungen verstehen können.

Aber es wurde tatsächlich immer leichter. Ich hatte mir eine Runde am Wasser ausgesucht und der Weg führte durch ein kleines Wäldchen und Wiesen. Ich wurde von Graureihern begleitet und einmal lag sogar eine Ringelnatter mitten auf meinem Weg. Ziemlich am Ende dieser Runde steht eine Bank und es wurde mein festes Ritual mich dort hinzusetzen und mich mit der Natur zu verbinden. Das hat mein Herz wieder geöffnet, ich habe mich zunehmend weiter und friedlicher in mir selbst gefühlt. Und schon nach kurzer Zeit wurde aus dem Muss ein Bedürfnis und ich habe es zunehmend bedauert, wenn ich mal keine Zeit für meinen Ausflug hatte.

Beginn der Therapie

Im April war ich dann tatsächlich soweit den Zettel der Therapeutin wieder hervorzukramen.
Und das nächste Wunder passierte.
Sie war nämlich gerade erst hierher gezogen und sagte mir, dass sie in der kommenden Woche anfängt zu arbeiten. Ich habe sofort einen Termin bekommen. Und schon in der ersten Probesitzung stellten wir beide fest, dass es passt und wir zusammenarbeiten wollen.
Es war, als ob mir zur Belohnung für das Losgehen der rote Teppich ausgerollt wurde.

Mir ist inzwischen klar, dass es ein großes Glück ist, gleich beim ersten Versuch die passende Therapeutin zu finden. Und das auch noch ohne die üblichen Wartezeiten.

Anfangs war ich super aufgeregt vor den Sitzungen und habe versucht mir genau zurechtzulegen, was ich sage. Und nebenbei wusste ich auch schon genau, was sie antworten würde. Eine Angewohnheit, die ich bis heute schwer ablegen kann.
Erst mit Beginn meiner Therapie wurde mir klar, dass es verschiedene Ansätze gibt. Ich war also eher durch Zufall in einer tiefenpsychologisch fundierten Gesprächstherapie gelandet.

Es geht also um mich!

Wie beschreibt man ein Therapiesitzung? Das finde ich schwer, weil jeder seine ganz individuellen Erfahrungen macht.
Für mich war das Wichtigste, dass es einen Raum gab, in dem eine persönliche Beziehung zwischen meiner Therapeutin und mir entstehen konnte. Die war echt, verlässlich und zeitlich genau definiert.
Jeden Freitag von 9.00 Uhr bis 9.45 Uhr war da jemand, der mir zuhörte und mir die volle Aufmerksamkeit schenkte. Das es wirklich nur um mich geht, war erstmal sehr ungewohnt. Wirklich klar wurde mir das immer, wenn ich ihr ansehen konnte, wie betroffen sie von dem war, was ich gerade erzähle. Oder sich mit mir über schöne Erlebnisse und Erfolge gefreut hat.
Das war wie ein Spiegel, in den ich schauen konnte. Manchmal konnte ich ihr ansehen, was da so beim Reden an Themen auftauchten, auch wenn ich es selbst gar nicht gespürt habe. Das waren ganz besondere Momente für mich und eine sehr nachhaltige Erfahrung.

Erfahren habe ich sehr viel über mich in dieser Zeit. Dass ich Muster habe, woher diese kommen und wie sie bis heute mein Leben beeinflussen. So konnte ich nach und nach Verständnis für mich selbst entwickeln und sehen, wo die Fallen sind, in die ich ständig trete.

Und so langsam wurde mir klar, ja, ich habe Depressionen und es gibt Gründe dafür. Und nein, deshalb bin ich nicht automatisch ein schlechter Mensch.

Die erhofften Veränderungen bleiben aus

Naja, ehrlich gesagt, kratzte das nur eine ganz kleine Schicht in meinem Bewusstsein an. Aber es war ein Anfang. Und führte irgendwann dazu, dass ich weiter gemacht habe.

Es gab nämlich einen Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, ich trete auf der Stelle.
Ich hatte nun schon so viel gelernt, wirklich verändert hat sich aber nichts.

Und was hat die kleine Helgrit da gedacht? Selbst schuld! Natürlich!
Ich glaubte nämlich, es läge daran, dass ich nicht alles erzähle.
Besonders eine bestimmte Sache.
Und da gab es gleich zwei Haken: Zum einen stand da ein riesiges Verbotsschild. Und während ich dachte, dass ich das einfach mal überwinden sollte (und könnte?), tauchte das zweite Problem auf: Ich konnte mich gar nicht so richtig erinnern. Es gab nur die vier Bilder, die ich schon immer gesehen habe.
Dann kam mir der Gedanke, dass man das schon irgendwie hochholen kann.
Und ich wollte genau wissen wie.

Das brachte mich dann zum nächsten besonderen Moment in meinem Leben.
Daran kann ich mich übrigens noch ganz genau erinnern!
Es war ein kalter, verregneter Oktoberabend (in dem Jahr war der Herbst nicht so schön) und ich hatte mich in den Weiten des Internets verloren. Hab mir eine schreckliche Geschichte nach der anderen reingezogen und mich dabei irgendwie verlaufen.

Aber die Frage blieb.

Wie bearbeitet man die Dinge, an die man sich gar nicht richtig erinnern kann?

Und so ungefähr habe ich die Frage dann in die Suchleiste bei Youtube eingegeben.
Und, warum auch immer, aus der Vielzahl der angebotenen Videos habe ich ganz gezielt eins ausgesucht und gedacht:
„Mal sehen, was Dami Charf dazu sagt“.

Das war wirklich Magie oder ein Wunder oder was auch immer!
Ich habe es bis heute noch nicht so richtig verstanden, was da eigentlich passiert ist. Ich kann nur sagen, dass ich wie versteinert vor dem Bildschirm saß.
Das Video war längst durchgelaufen und ich wahrscheinlich dissoziiert bis in die letzte Haarwurzel (oder das erste Mal richtig da?).
Und ich konnte nur denken, was zum Teufel ist mit mir los?
Wie auch immer sie das gemacht hat, Dami hat vom ersten Moment an etwas in mir aktiviert, was wahrscheinlich Jahrzehnte unter einem Berg von Müll begraben lag. Und das übers Internet!
Wenn alle meine Glaubenssätze so schnell zerfallen würden, wie der, dass so etwas niemals möglich ist, tja dann…

Der Horizont wird weiter

Kurze Zeit später landete ich auf ihrer Internetseite und habe mir das E-Book runtergeladen. Das da noch eine Begleitung durch eine E-Mail-Serie und Videos dranhing, hatte ich anfangs gar nicht mitbekommen.

Da gab es Fragen zu beantworten, die meine eingefahrenen Denkmuster ziemlich durcheinander gewirbelt haben. Und ich habe Antworten bekommen. Auch auf meine E-Mails. Lobende, ermutigende, liebevolle… Wunder über Wunder!

Im November habe ich das erste Mal von der Prozessgruppe gelesen, im Dezember schon mal probehalber den Anamnesebogen ausgefüllt und gedacht, wie schön es wäre, da mal dabei zu sein! Und dass ich das nie erleben werde! Was für ein Irrtum! Zum Glück!

Und weil ich ja anscheinend zu Silvester immer ein bisschen sentimental werde, habe ich mich für das magische Jahr 2016 bedankt und gesagt: „Jetzt kann die Magie weiterziehen! Zu jemandem, der sie dringend braucht. Von jetzt ab will ich es auch so schaffen.“
Und habe die Tabletten abgesetzt…

Beim nächsten Mal erzähle über meine Erfahrungen mit dem Onlinekurs „Mit Trauma leben“ und wie es sich angefühlt hat ein wenig mehr im Körper zu landen.
Helgrits Tagebuch – mein Körper und ich

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