Es ist Sonntagnachmittag und ich sitze im Café.
Ich bin hier, um zu lesen und ein bisschen zu schreiben. Aber das ist nicht der wirkliche Grund.
Tatsächlich bin ich vor allem hier, weil ich mich schon heute Morgen beim Aufwachen einsam gefühlt habe und ich vor einem Abgrund von unendlicher Traurigkeit stand.
Es ist ein bisschen wie eine Flucht vor mir selbst, um an der Oberfläche zu bleiben.
Manchmal geht es einfach darum das zu tun, was gerade möglich ist
Ich würde gern schreiben, dass ich in der Sonne sitze und bei einer Tasse Kaffee und einem Buch einen der letzten schönen Herbsttage genieße.
Leider kommt die Sonne nur sporadisch raus und ich habe mir netterweise einen Tisch ausgesucht, der im Schatten steht. Das mit der Selbstfürsorge gelingt mir heute auch nicht so perfekt.
Aber es ist immerhin ein Anfang und in jedem Fall besser, als mich kampflos geschlagen zu geben und mich in den Gedankenstrudel ziehen zu lassen.
Also versuche ich, dagegen zu halten. Es geht wohl darum, neben dem Schmerz auch das Schöne zu entdecken.
Ich krame mein Buch aus der Tasche…
Den Focus verschieben
Das mit dem Lesen will heute auch nicht so richtig funktionieren. Irgendwie gelingt es mir nicht, wie gewohnt und von mir so geliebt, vollständig in die Geschichte einzutauchen.
Immer wieder triften meine Gedanken ab und irgendwann stelle ich fest, dass ich gar nicht so richtig weiß, worum es auf den letzten Seiten ging.
Ich gebe auf und packe das Buch ein.
Inzwischen hat sich das Café gefüllt und ich schaue mich ein wenig um.
Wow, ich sehe gerade, wie blau der Himmel ist!
Und ich bemerke noch viel mehr.
Um mich herum herrscht ein buntes Treiben.
Es wird gelacht, gestritten und geredet.
Kinder toben um die Tische und freche Spatzen warten auf eine günstige Gelegenheit, sich einen leckeren Bissen zu stibitzen.
Genau das, wonach ich gesucht habe.
Und doch fühle ich mich ausgeschlossen. Es ist ein bisschen so, als wäre ich unsichtbar. Ich kann die Anderen sehen, sie aber mich nicht.
Ich spüre den Impuls, aufzustehen und zu gehen.
Das ist ein bisschen makaber, denn ich bin ja schon auf der Flucht und ich weiß immer noch nicht so richtig, wohin mit mir. Also bleibe ich.
Und versuche es mit Lernen.
Geht da doch noch was?
Da sitze ich nun also mit dem dicken Lehrbuch und einem Notizheft und tatsächlich fängt mich das Thema ein.
Ich bekomme ein wenig Zugang zu meiner Neugier und während ich eifrig mitschreibe, kommen mir neue Ideen und die Lust, sie auszuprobieren.
Eine Atempause von der Grübelei und es macht die verschlossene Tür einen Spalt breit auf.
Eine Idee, dass es auch ein Morgen geben wird und dass da noch so einiges auf mich wartet, was erlebt und gelebt werden will.
Und zwar nicht trotz, sondern mit der Traurigkeit.
Ich frage mich, ob ich Einfluss auf meine Stimmung nehmen kann.
Wie ist das eigentlich?
Ist es mal ein völliges Eintauchen in einen bestimmten Zustand und mal in einen anderen?
Oder ist eigentlich immer alles da und ich finde nur den Zugang nicht, weil ein Gefühl alle anderen überlagert?
Und wieviel Anteil haben meine Gedanken daran, wie tief ich in die einzelnen Zustände eintauche?
Während ich über diese Fragen nachdenke, wird der Nachbartisch von einer Familie besetzt. Mutter, Vater, zwei Kinder und ein drittes wird im Kinderwagen an den Tisch geschoben.
Erstmal sehe ich nur kleine Füße in rosa Socken.
Ich komme wieder in Kontakt
Als die Mutter mit einem Löffel voller Eis lockt, bekomme ich das ganze Kind zu sehen. Neugierige Augen, unsere Blicke treffen sich.
Es beginnt ein Spiel zwischen anschauen und verstecken.
Die zunehmende Begeisterung des Kindes ist einfach überall zu sehen und zu spüren. Alles an diesem Kind kommt in Bewegung und es wird immer ausgelassener. Die rosa Socken werden von den Füssen gezogen, das Eis läuft unbeachtet aus dem Mund und mit seinem ganzen Babyvokabular drückt es sein Entzücken aus.
Mehr Ausdruck an purer Lebensfreude ist nicht möglich und ich lasse mich davon anstecken.
Ich merke, dass auch meine Mimik und mein Körper in Bewegung kommen.
Leider ist es gesellschaftlich nicht so akzeptabel, wenn man als erwachsene Frau in einem Café unkoordiniert mit den Armen und Beinen rudert, dabei unverständliche Laute von sich gibt oder sich die Socken (nicht rosa) von den Füßen zieht.
Ein bisschen Grimassen schneiden geht dagegen schon. Das finden auch die beiden großen Geschwister toll.
Und dann merke ich, dass sich etwas bei mir verändert hat.
Zu mir selbst finden
Ich kann deutlich fühlen, dass ich im Laufe des Tages wieder Zugang zu meiner Kreativität gefunden habe, zu meinem Humor, meiner Neugier und der Lust auf das Leben.
Mir wird klar, dass ich mich auch immer dann einsam fühle, wenn ich den Kontakt zu mir selbst verliere. Ohne mich selbst und dem, was mich ausmacht, ist es mir kaum möglich, mich mit anderen zu verbinden.
Und wie ist das nun mit dem Einfluss auf meine Stimmung?
Diese Frage bleibt erstmal offen. Nur zu gern habe ich mich davon ablenken lassen.
Und schließlich braucht mein Kopf ja auch noch etwas, worüber er morgen nachdenken kann.
Die Sonne hat sich immer noch nicht an meinen Tisch bewegt und auch mein Kaffee ist inzwischen kalt geworden.
Trotzdem nehme ich mir noch einen Moment Zeit, um zu schauen, wie es mir jetzt geht.
Die Traurigkeit ist noch da, aber sie legt sich nicht mehr wie eine schwere Decke über alles andere und trennt mich von der Welt und von mir selbst.
Das berührt mich und macht mich dankbar.
Und es ist keine Flucht mehr, wenn ich jetzt gehe. Ich laufe nicht vor etwas weg, sondern zu etwas hin.
Zuerst mal zu meiner Freundin.
Und auch zu mir und in das Leben.
An dieser Stelle empfehle ich dir meinen Blogartikel zum Thema „sich einsam fühlen“.