Was ist Selbstregulation?
Das Thermometer unseres Lebens — Was bedeutet Selbstregulation?
Was ist Selbstregulation? Bei dieser Frage wissen viele keine Antwort. Und doch ist es eine der wichtigsten Funktionen unseres Lebens. Sie entsteht in den ersten drei Lebensjahren und ihre Qualität wird durch die Qualität der Bindung und Qualität des Kontaktes mit unseren Bezugspersonen gebildet.
Die Stärke unserer Selbstregulation bestimmt unser Verhalten: Wie glücklich wir sein können, wie viel Stressresistenz wir haben, wie gut wir Impulse regulieren können und wie stark wir auf stressige Reize reagieren. Dadurch bestimmt unsere Selbstregulation auch, wie gut wir sozial interagieren können und wie viel Überblick wir behalten, wenn Anforderungen an uns gestellt werden.
Doch was ist Selbstregulation und wie hilft sie mir? Eine gute Selbstregulation zu haben, bedeutet wählen zu können, sich wohl in der eigenen Haut zu fühlen und Neugier und Freude auf und über das eigene Leben als Grundgefühle zu haben.
Sind wir nicht fähig, uns gut zu regulieren, so leben wir meist reaktiver und haben das Gefühl, dass das Leben uns steuert und wir immer nur auf Anforderungen reagieren. Wir leben in einem permanenten Gefühl der inneren Anspannung und sind im Funktionsmodus gefangen. Dadurch, dass wir häufig unser Körpergefühl verloren haben, fällt uns und anderen dies oft erst einmal gar nicht auf. Mit der Zeit breiten sich jedoch Unzufriedenheit, Enttäuschung und vielleicht somatische Symptome in unserem Leben aus.
Bleiben wir zu lange im Funktionsmodus, fühlen wir uns erschöpft, ausgebrannt und freudlos. Vielleicht landen wir irgendwann im Burnout, einer Depression oder es entwickeln sich Ängste. Vielleicht bleiben wir auch Jahre in diesem Zustand stecken. Die Frage “Was ist Selbstregulation?” ist also gar nicht so leicht zu beantworten. Ich denke, im Laufe dieses Textes nähern wir uns der Antwort immer mehr an.
Autonomie und Beziehung – unvereinbar?
Die innere Ausrichtung ist dann, weiter funktionieren zu können. Menschen sind den ganzen Tag darauf angewiesen, sich innerlich zumindest so regulieren zu können, dass sie in einem guten „Funktionsmodus“ bleiben können. In diesem Modus spüren wir uns zwar kaum, können aber unseren Aufgaben nachkommen. Es ist absolut sinnvoll diesen Funktionsmodus zu haben, aber es ist eben ein Funktionsmodus und keine verkörperte Lebendigkeit und Freude am Leben zu sein.
Schaffen wir es nicht mehr, uns aus uns selbst herauszuregulieren, dann greifen wir auf äußere Ressourcen – funktionale und dysfunktionale — zurück.
Eine der Hauptquellen, das Lebens-Thermometer wieder in den optimalen Bereich zu regulieren, ist Kontakt. Wir greifen dann auf die älteste Möglichkeit der Regulation zurück, die wir schon als Baby gelernt haben: Bei Stress hilft der Kontakt mit Mama. Auch als Erwachsene greifen wir auf dieses Veralten zurück (allerdings wahrscheinlich oft nicht mit Mama :-)). Wir suchen Kontakt, indem wir mit jemanden sprechen, eine Freundin anrufen oder unsere Beziehungspartner aufsuchen. Manchmal reicht Sprechen jedoch nicht und wir suchen Körperkontakt. Wir wollen in den Arm genommen werden oder uns mal bei jemandem Vertrauten im Arm ausweinen. Meist sieht die Welt dann schon anders aus und wir können uns beruhigen und neue Perspektiven einnehmen.
Für manche Menschen ist es allerdings nicht möglich, mit ihrem inneren Leidensdruck zu anderen Menschen hinzugehen. Sie haben die Fähigkeit, um Hilfe zu bitten, verlernt. Wie gestörte oder unsichere Bindungen die eigene Regulation erschweren, liefert auch Antworten auf die Frage „Was ist Selbstregulation“:
Für einige Menschen, die sehr unsichere Bindungen in ihren ersten Lebensjahren erlebt haben, ist es schier unvorstellbar, dass jemand anderes für sie da sein mag. Noch unvorstellbarer es ist für sie, bei jemandem im Arm zu liegen und sich halten zu lassen. Dadurch, dass sie dies nie erlebt haben, liegt diese Erfahrung außerhalb ihres Vorstellungsbereichs. Sie können dies aber nachlernen, wenn sie auf Menschen treffen, für die es selbstverständlich ist, jemanden in den Arm zu nehmen.
Dann gibt es noch diejenigen, die sich im Laufe ihrer Kindheit entschieden haben (meist ist dies eine unbewusste Entscheidung), niemanden mehr zu brauchen oder zu vertrauen. Diese Entscheidung ist meistens das Resultat davon, dass sie als Kinder von ihren Eltern gedemütigt oder zurückgewiesen worden sind, wenn sie nicht alles alleine konnten.
Oder sie haben gelernt, dass sie „überwältigt“ werden, wenn sie jemanden brauchen. Sie haben das Gefühl, für jede „Schwäche“ einen Preis zahlen zu müssen. Dies geschieht, wenn ein Kind um Hilfe bittet, zum Beispiel um einen Baukastenturm höher bauen zu können, und sich dann eine Bezugsperson dazu setzt, dem Kind erst einmal erklärt, was es alles falsch gemacht hat, und dann den Turm alleine baut. Erfährt das Kind immer wieder, dass es entmündigt und entwertet wird, wenn es um Hilfe bittet, dann wird es meist irgendwann nicht mehr fragen.
Die meisten Menschen entscheiden sich irgendwann in ihrer Kindheit (wieder nicht bewusst, aber dennoch nachhaltig) zwischen dem Schutz ihrer Würde oder dem unbedingten Aufrechterhalten der Beziehung. Denke bitte einen Moment nach: Wenn du Streit mit deinem Partner oder deiner Partnerin hast, ziehst du dich dann zurück oder wirst aggressiv oder bemühst du dich mit allen Mitteln darum, den Bruch wieder zu kitten?
Menschen, die aufgrund ihrer Entscheidung als Kind ihre Würde schützen, zahlen oft einen hohen Preis, da sie in die Autonomie flüchten. Sie schneiden sich ab von tiefen Beziehungen. Ein solcher Prozess führt dazu, dass Kinder ihre Bedürfnisse verleugnen, damit sie nie mehr jemanden brauchen und sich dann womöglich abhängig fühlen könnten.
Fällt dieser Prozess bei Kindern sehr stark und sehr absolut aus, so haben die Eltern oder Pädagogen irgendwann keinerlei Einfluss mehr auf das Kind. Es wird jedes Beziehungsangebot abwehren und häufig für viel Ärger sorgen.
Menschen, die immer für die Beziehung gehen, zahlen natürlich auch einen Preis: Manchmal mit ihrer Würde. Sie bleiben zu lange und versuchen zu lange zu reparieren und die andere Person wieder in Beziehung zu bringen. Letztendlich kämpfen sie hier gegen ihre Angst vor dem Alleinsein, vor dem Verlassenwerden. Diese Angst ist so stark, dass ihr vieles geopfert wird. Irgendwann ist es sinnvoll sich dieser Angst zu stellen, damit man neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln und auch die eigene Würde im Kontakt schützen kann. Der gesunde Weg liegt auch hier wieder in der Mitte: Es geht darum, sowohl in Kontakt und in tiefe Verbindung gehen und um Hilfe zu bitten zu können als auch alleine für sich zu sorgen und Zeit selbst zu genießen. Zur Not sollte man auch in der Lage sein, Kontakte abzubrechen, die einem nicht guttun.
Bei der Frage “Was ist Selbstregulation?” unterscheidet man in zwei Typen: Autoregulierern und Interregulierer. Gemeint sind damit zum einen Menschen, die immer versuchen sich selbst alleine zu regulieren und Menschen, die sich hauptsächlich über den Kontakt mit anderen regulieren. Günstig ist, wenn man die Fähigkeit besitzt, beide Verhaltensmuster anzuwenden.
Es ist mir jedoch eine Herzensangelegenheit klarzustellen, dass kein Mensch sich vollkommen allein immer gut regulieren kann! Wir brauchen einander.
Ab einem bestimmten Punkt der Dysregulation sind wir darauf angewiesen, dass wir uns an einen anderen Menschen anbinden können, um uns über diesen neu zu regulieren.
Schwach ausgebildete Selbstregulation
Ist die Selbstregulation grundsätzlich schlecht ausgebildet, dann benötigen wir eine ganze Zeit lang einen anderen Menschen, der uns mittels seines eigenen Nervensystems hilft, uns neu zu justieren. In der Psychologie und der Traumatherapie wird dieser Prozess als Co-Regulation bezeichnet.
Dies ist keine Schande, sondern einfach eine Tatsache des Lebens. Dies geschieht mittels Körperkontakt oder auch darüber, dass sich jemand in uns einfühlt, uns auch ohne Worte mal versteht.
Wir regulieren uns, wenn wir das Gefühl haben, jemand ist ganz präsent für uns da, ohne dass wir etwas tun müssen oder irgendein Verhalten zeigen müssen.
Dann kommen wir zur Ruhe und können wieder in uns „hineinfallen“. Wir kommen wieder in uns an und können uns neu orientieren und ins Leben gehen. Einen solchen Menschen zu finden, der so für uns da ist, ist ein echtes und seltenes Geschenk. Solltest du in deiner Umgebung einen solchen Menschen kennen, dann hüte diese Beziehung wie einen Schatz, der dieser Mensch ja auch ist.
Das Thema Selbstregulation ist sehr umfassend. Wenn Du mehr über Themen wie “Was ist Selbstregulation?”, “Was ist ein Trauma?” oder die unterschiedlichen Trauma Symptome wissen möchtest, schau dich gern auf meiner Website um oder nimm Kontakt zu mir und meinem Team auf.
In der von uns angebotenen Prozessgruppe „Lebensprozesse“ lernst du gemeinsam mit anderen, dich selbst besser zu regulieren. Auch wenn du alleine bist, kannst du mit besserer Selbstregulation dein Leben mehr genießen und stressresistenter werden.
Wenn du therapeutisch arbeitest und dich zum Thema fortbilden möchtest, kannst du dich über die Angebote im Rahmen unserer Traumatherapeuten-Ausbildung informieren. Hier erfährst du mehr zu Themen wie:
- Prozess der Co-Regulation
- Unterscheidung von linkshemisphärischer Kommunikation und rechtshemisphärischer Kommunikation (diese ist in diesem Kontext viel wichtiger)
- Somatische Spiegelung des Gegenübers
- die Fähigkeit deinen Klienten zu einer besseren Selbstregulation zu verhelfen