Das Bedürfnis nach Autonomie
Traumatische Ereignisse hinterlassen neben anderen Spuren oft die innere Angst, dass Dinge unkontrollierbar werden. Dazu kommt oft noch die Angst, wieder verletzt zu werden. Aus dieser inneren Haltung kann das Bedürfnis erwachsen, möglichst viel Autonomie zu entwickeln, um nicht auf andere Menschen angewiesen zu sein. Das Problem dabei ist, je mehr wir kontrollieren wollen, desto mehr und häufiger erleben wir Ohnmacht.
Autonomie und scheinbare Autonomie
Es müssen nicht immer schwere traumatische Ereignisse zu diesem Bedürfnis nach hoher Autonomie führen, es können auch viele kleine Ereignisse sein oder einfach das Gefühl, dass da sowieso niemand ist oder man gedemütigt wird, wenn man nach Hilfe und Unterstützung fragt. Kinder reagieren auf diesen Schmerz, indem sie anfangen, ihre Bedürftigkeit und ihre Bedürfnisse zu unterdrücken bzw., diese nicht mehr wahrzunehmen.
Diese Art von Autonomie ist jedoch eine Art Scheinautonomie. Denn sie beruht nicht auf Selbstwert, Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit, sondern auf dem Gefühl des Ausgeliefertseins und der Verletzlichkeit.
Autonomie…
Wir entscheiden meist unbewusst in einem bestimmten Alter, ob wir für die Beziehung gehen oder für unsere Würde. Menschen, die sich für die Würde und damit für die Autonomie entschieden haben, weil sie der Beziehung (zu ihren Eltern) nicht mehr trauen können, versuchen alles selber zu machen und möglichst nicht um Hilfe zu bitten. Sie ziehen sich zurück, wenn sie Stress haben, um sich alleine wieder regulieren zu können – das nennt man Autoregulation.
…oder Beziehung?
Andere Kinder entscheiden sich wiederum dafür, aus der Beziehung so viel wie möglich zu bekommen und dafür einen Teil von sich selbst zu opfern. Diese Menschen sind oft in ihrem Erwachsenenalter sogenannte Interregulierer. Wenn sie Stress haben, ziehen sie sich nicht zurück, sondern brauchen jemanden, nicht etwas, der ihnen hilft, sich wieder zu regulieren, z.B. durch gehalten werden und weinen dürfen.
Das sind die Pole zwischen beziehungsorientiert und autonomieorientiert. Irgendwo in dieser Spanne bewegst Du Dich vermutlich auch. Vielleicht sogar in der glücklichen Mitte, denn gesunde Autonomie zeichnet sich dadurch aus, dass man selbstständig sein kann und um Hilfe bitten kann, wenn man diese möchte oder braucht.
Das Problem mit der Autonomie
Wenn wir dann als Erwachsene zu autonom sind, wirken wir oft sehr unnahbar auf andere. Gleichzeitig fühlen wir uns oft sehr alleine, weil wir uns intern nie öffnen. Wir assoziieren Öffnung mit Verletzlichkeit und letztendlich mit Angst.
Paradox: Wir brauchen andere Menschen
Paradoxerweise ist der nach Autonomie strebende Teil in uns, der eigentlich hilflos und bedürftig ist, schwer ohne Hilfe zu integrieren. Menschen sind jedoch Gemeinschaftstiere. Wir wollen Teil von etwas sein. Wir wollen eine Sinnhaftigkeit unserer Existenz erleben. Wir wollen unseren Wert fühlen. Deswegen trau Dich einfach immer mal wieder, mutig zu sein und um Hilfe zu bitten.
Oder wenn Du vom ganz anderen Pol kommst, trau Dich mal zu sagen, ,,ich möchte gern mal den Abend allein mit mir verbringen und es tut mir leid, wenn Du dann enttäuscht bist.“
Ich hoffe, dieser Beitrag war anregend für Dich und Du kannst etwas daraus mitnehmen.
Liebe Grüße
Dami