Trauma und Kontakt

Wie beeinflusst Trauma die Art, wie wir Kontakt herstellen?

​Kontakt ist ein stetig auftretendes Thema für traumatisierte Menschen und spiegelt sich auch in meiner Arbeit wieder. Viele Betroffene berichten in diesem Kontext davon, wie frustriert und enttäuscht sie von anderen Menschen sind, wenn sie Kontakt mit ihnen herstellen möchten. Scheint es ihnen doch so, dass diese nicht genug Interesse haben oder sich wieder aus dem Kontakt zurück ziehen.

Sicherlich kann dies verschiedene Gründe haben, oder das Interesse ist zu einseitig. Ein anderer Grund ist jedoch oftmals, dass traumatisierte Menschen, vor allem Menschen mit Entwicklungstrauma, Kontakt auf eine Art und Weise herstellen, die oft zu Frustration führt.

Wir als soziale Wesen

Kontakt und soziale Beziehungen sind erwiesenermaßen die wichtigsten Dinge in unserem Leben. Sie stabilisieren uns, machen uns glücklich und sorgen am Ende dafür, dass wir ein zufriedenes Leben geführt haben. Ich weiß, dass das für Menschen mit Traumatisierung oft ein sehr schwieriges Thema ist. Allein, wenn Du das liest, kann schon ein bisschen Widerstand aufkeimen.

Schwierigkeiten im Aufbau von Bindungen

​Klienten berichten im Kontext von Kontakt häufig von einer Frustration im Umgang mit sich selbst und der eigenen Geschichte. ​Außerdem sind sie mit der Frage beschäftigt, wie sie dies zu anderen Menschen tragen können. Dahinter steht immer das Kernthema: Wie trete ich in Kontakt, wie trete ich in Beziehung, wie baue ich Freundschaften auf?

Mir wird in dem Zusammenhang häufig berichtet, dass die neuen Bekanntschaften mit Unverständnis oder mit Rückzug reagieren. Die ganze Sache mit Kontakt, Freundschaft oder Beziehung funktioniere nicht so gut.

Gesunder Beziehungsaufbau

Durch Traumatisierungen kann unser Gespür und der Ablauf, nach dem Kontakt aufgebaut wird, durcheinander geraten sein. Das liegt zumeist daran, dass wir keine sicheren Bindungserfahrungen gemacht haben und dies nun bei dem Versuch Kontakte zu knüpfen, spüren.

Der gesunde oder geläufige Ablauf ist: Ich lerne jemanden kennen, lerne sie/ihn noch ein wenig besser kennen und fange an mich auszutauschen. Dabei checke ich ab, ob die Person mir gut tut, ob sie gute Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften hat. Wir finden heraus, ob wir gemeinsame Interessen haben, und im Laufe der Zeit stellen wir immer mehr Nähe her. Dann stelle ich fest, ob jemand sicher für mich ist. Wichtig kann auch sein, ob die Person unter Stimmungsschwankungen leidet, oder ob ich mich auf ​sie verlassen kann. Wenn all die Voraussetzungen für beide Parteien geklärt sind, kann mehr Nähe hergestellt werden. Erst dann wird der Kontakt tiefer und geht in eine Form von Bindung über. Das ist der Ablauf, der gesund ist.

An dieser Stelle lege ich dir meinen Blogartikel zum Thema „Wie kann man gute Freundschaften pflegen?“ ans Herz.

Beziehungsaufbau mit unsicherem Bindungsmuster

Bei Menschen mit durch Entwicklungstrauma bedingten unsicheren Bindungsmustern läuft dieser Prozess oft umgekehrt. Sie lernen jemanden kennen, finden die Person sympathisch, versuchen ganz viel Nähe herzustellen und gehen in die Bindung. ​Erst dann stellen sie fest, ob die Person überhaupt Interesse hat. Folglich finden sie erst spät heraus, ob die Interessen, das schon entstandene Näheverhältnis und die Persönlichkeiten harmonieren und kompatibel sind.

Die Enttäuschung folgt oft auf den Fuß

Das heißt, die Bindung wird hier praktisch schon hergestellt, bevor man die Person überhaupt richtig kennenlernt. Das liegt oft an der Sehnsucht nach Bindung. ​Ganz oft auch kann es aber auch sein, dass man einen netten Austausch mit einer Bindungsabsicht verwechselt​. Manchmal reicht eine freundschaftliches Gespräch aus und es wird sehr viel in diesen Kontakt hinein projeziert. Darin liegt sehr viel Frustrationspotential, weil Interessen mitunter vollständig aneinander vorbeigehen. Denn bei dieser Form des Kontakt Herstellens wird nicht bei jedem Schritt überprüft, ob der andere dasselbe empfindet und möchte.

Ein langsamer, aber gemeinsamer Weg

Das heißt, wenn Du dir Frustration ersparen möchtest, wenn Du Dir tiefe Freundschaften und auch glückliche Liebesbeziehungen aufbauen willst, solltest Du versuchen, die Form des Kontakte knüpfens zu verändern.

Beim Kennenlernen einer Person, finde zunächst erst einmal heraus, welche Meinungen und Interessen Dein Gegenüber hat. Baue langsam ein gemeinsames Feld aus und webe Verbindungen zu der anderen Person, wie ein Spinnennetz. Während dieses Vorgangs, öffnet sich einer von beiden vielleicht ein bisschen weiter, ein bisschen, und erzählt etwas über sich. Meistens handelt es sich dann nicht um intime Inhalte, sondern eher um vertrauensvollere Themen. Dies löst oft einen Spielball-effekt aus und die andere Person öffnet sich ebenfalls ein bisschen mehr. Auf dieser Ebene entsteht eine Basis, die durch mehr Kontakt erweitert werden und wachsen kann.

Jeder Mensch braucht unterschiedlich viel Kontakt

Ebenfalls unheimlich wichtig ist, wie oft jemand Kontakt möchte, wie oft jemand Kontakt herstellt. Zu sehen, dass ich jede Woche anrufe und die andere Person nie zurückruft, sollte mir zeigen: So viel Kontakt möchte die- oder derjenige nicht. Freundschaften oder Beziehungen zu bilden ist wie ein Tennisspiel. Man spielt sich die Bälle zu und schaut, wie oft der andere zurückspielt.

Ich habe Freunde, die treffe ich jedes Vierteljahr, und ich habe Freunde, mit denen telefoniere ich jeden zweiten, dritten Tag. ​Die Variationsbreite ist groß und jede davon ist in Ordnung. Das bedeutet nicht, dass das eine nichts taugt und das andere ganz toll ist. Es ist einfach ganz unterschiedlich.

Einen gemeinsamen Weg finden

Das Wichtige dabei ist, dass es für beide Parteien stimmig ist und man eine gemeinsame Ebene findet. Denn sonst wird es irgendwann frustrierend und es funktioniert nicht mehr.

Ich kann ganz viel von dem Frust ​verringern, wenn ich diesen Weg langsam gehe und langsam immer mehr Boden bereite. Dann hat die andere Person auch eine Chance bei mir anzukommen und mich langsam kennenzulernen.

Die Sache mit dem Timing

Wie eben schon erwähnt, spielt bei dem Aufbau eines neuen Kontaktes, ganz gleich in welche Bindungsrichtung Du tendierst, immer die angemessene Zeit eine Rolle. Wir können durch unsere Sehnsucht nach Kontakt und unsere Ungeduld, wenn wir jemanden treffen, den wir mögen, überfordernd für die andere Person sein. Dann bleibt keine Zeit für den Prozess, der auch die Bereitschaft entstehen lassen kann, dass sich jemand auf mich einlässt.

Deshalb stürze Dich nicht wie ein Tiger auf sein Opfer, sondern gehe sanft auf dein Gegenüber zu und zeige Dich Stück für Stück. Lerne zuzuhören und darauf entsprechend mit Deinen eigenen Geschichten zu reagieren. Die Zeit, die ihr investiert, wird Vertrauen ineinander schenken und Raum dafür bieten, vertrauensvolle Themen zu besprechen und sich weiter näher zu kommen.

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