Verachtung – das heimliche Gefühl

Die eigene Verachtung, die viele Menschen in sich tragen, ist ein wohl gehütetes Geheimnis. Es ist ein schlimmes, vernichtendes Gefühl, über das wir nicht gern sprechen. Selbst im therapeutischen Kontext vermeiden Klienten dieses Thema.

Wie Verachtung entsteht

Meine Erfahrung, auch aus meiner eigenen Geschichte, zeigt, dass Demütigung der Verachtung voraus geht. Jede Form von Vernachlässigung, Gewalt, Ironie, Zynismus und Lieblosigkeit ist eine Demütigung für uns. Besonders gravierend ist es für Kinder, wenn sie zu jemandem aufschauen und diesen Menschen lieben. Wenn diese Person, meist die eigenen Eltern, achtlos mit uns umgegangen sind, fühlen wir uns gedemütigt. Wir denken, wir sind es nicht wert, gut behandelt zu werden. Wir sind es nicht wert, einen Platz auf der Welt zu haben oder, dass sich jemand für uns und unser Inneres interessiert.

Metaphorisch gesehen, werden wir immer wieder auf den Boden in den Schlamm geworfen. Diesen Zustand kann man nicht lange ertragen. Gedanken, wie ‚ich bin das Letzte auf der Welt, ich bin es nicht mal wert, dass meine Eltern mich freundlich behandeln,‘ lassen uns nicht mehr los.

Um mit dieser Erniedrigung fertig zu werden, reagieren wir intern darauf, indem wir uns künstlich hochziehen. Doch dabei passiert ein interessanter Vorgang: wir ziehen uns nicht auf unsere normale Größe hoch, sondern ein bisschen höher und gehen selbst in die Verachtung. Wir fangen selbst an, von oben herab aufzutreten. Wir beginnen zu denken: ‚eigentlich weiß ich es besser als Du, ich bin besser als Du.‘

Die Rettung vor Vernichtung

Viele tun dies sehr heimlich oder sind sich dieses Vorgangs nicht bewusst. Es ist eine Strategie sich zu retten, die eigene Würde zu retten, das eigene Ich-Gefühl vor diesem Niedergeschmettertsein zu retten. Es hat das eigene Überleben gesichert!

Sich dessen bewusst zu werden, ist ein wichtiger Schritt. Unsere Lebensmuster sind heute oft fragwürdig und hindern uns an unserer Lebendigkeit und Freude im Leben. Doch sie haben immer auch den Zweck gehabt uns irgendwann im Leben zu dienen oder sogar zu retten. Deswegen verzeihe Dir und entschuldige Dich vielleicht auch bei den Menschen, die Du in dieser Haltung von Verachtung und Hochmut verletzt hast.

Bei manchen Menschen sieht man diesen künstlichen Stolz in der Haltung, mit dem sie durch die Welt gehen. Das ist oft tragisch, weil sie dasselbe wiederholen, was sie erfahren haben und andere damit widerum verletzen. Es hat viel damit zu tun, von der eigenen Verletzlichkeit wegzukommen, die man eben nicht mehr fühlen möchte.

Tritt Dich nicht selbst

Ich finde es wichtig, sich bewusst zu machen, wo sich diese Art von Verachtung in mir zeigt, wo ich mich über andere erhebe. Wo habe ich diese Haltung in mir, um daran zu arbeiten und ins Reine zu kommen? Oft bedeutet es, dass ein Teil von mir immer noch unten im Schlamm liegt. Er braucht Hilfe, um aufzustehen. Gib ihm freundlich die Hand und trete nicht noch hinterher!

Es ist sehr schwierig diese Verhaltensmuster abzulegen. Aber versuche es! Hör dir an, was der Teil Dir zu sagen hat, der Demütigung erfahren hat! Frag Dich in einer stillen Minute, welcher Teil von Dir liegt immer noch gedemütigt am Boden und was braucht er, um aufzustehen.

Etwas, was sich bei diesem Aufsteh – Prozess entwickeln kann, ist, dass Du Dich selbst annimmst und wieder auf deinen Beinen stehen lernst. Du holst Dich wieder selbst ins Leben und gelangst auf Augenhöhe mit anderen Menschen, ohne in Abstand gehen zu müssen. Du brauchst andere nicht mehr erniedrigen, um Dich selbst wertzuschätzen. Gib Dir selbst etwas Mitgefühl und verzeihe Dir!

An dieser Stelle möchte ich Dir noch meinen Blogbeitrag zu posttraumatischen Belastungsstörungen ans Herz legen.

Artikel teilen:

Ähnliche Artikel