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Verlustangst – Warum sie für viele so bedrohlich ist!

von | 30.04.2021 | 6 Kommentare

Es ist ganz normal, dass man Angst hat, einen geliebten Menschen (ob Partner, Freund oder Familienmitglied) zu verlieren. Das geht vielen Menschen so.
Egal, ob man sich nicht mehr geliebt fühlt, es einen Konflikt gibt oder sich der andere abwendet und den gemeinsamen Weg verlässt: Es ist immer wieder schmerzhaft. Besonders dann, wenn die Verbindung sehr nah und innig war.

Wird diese Angst aber überpräsent und überschattet alle Beziehungen, dann spricht man von Verlustangst.

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Verlustangst, die Angst von früher

Wie man mit zwischenmenschlichen Beziehungen und mit Nähe umgeht, ist ein Lernprozess vom ersten Tag des Lebens an. Die familiären Einflüsse in der Kindheit sind hier also ganz entscheidend. Muster, die in dieser Zeit erfahren und gefühlt wurden, wirken sich mitunter lebenslang aus.
Wenn wir auf die Welt kommen, dann sind wir allein absolut hilflos und abhängig davon, dass sich jemand um uns kümmert, uns füttert und beschützt – und uns liebhat. Das Weggehen einer Person ist in dieser Zeit immer mit – wortwörtlicher – Todesangst verbunden.
Haben wir diese Liebe und Fürsorge aus unterschiedlichen Gründen nicht erfahren, dann entsteht eine tiefe Verunsicherung, die sich dann oft wie ein roter Faden durch unser Leben zieht, und uns in Form von Verlustangst begleitet.

Verlustangst und Beziehung: die Rolle von unsicheren Bindungsmustern

Ein unsicheres Bindungsmuster entsteht, wenn wir nie die Erfahrung machen konnten, dass eine Beziehung wirklich sicher ist. Dafür kann es sehr unterschiedliche Gründe geben.

Dazu zählen zum Beispiel, wenn Eltern:

  • einem keine Liebe und Geborgenheit geben konnten,
  • unzuverlässig, unberechenbar oder sogar übergriffig waren,
  • hilflos waren und ihrem Kind nicht beistehen konnten,
  • Depressionen oder anderen Krankheiten hatten,
  • nicht über Ängste und Gefühle gesprochen haben,
  • ihre Kinder wenig gestärkt und selbständig haben werden lassen,
  • selbst nie gelernt haben, mit Trauer und Angst umzugehen.

All das verursacht für die betroffenen Kinder Unsicherheit und die Angst, dass die Eltern oder Bezugspersonen weggehen und nicht wiederkommen. Bei ständiger Wiederholung wird diese Angst unter Resignation begraben, weil die Kinder versuchen, diese überwältigende Panik nicht länger spüren zu müssen. Man wird im Kern fest, damit man überlebt.

Die unbewusste Entscheidung

Diese sehr frühen Angst-Erfahrungen können für Betroffene zwei sehr extreme Entwicklungen zur Folge haben:

  1. Die völlige Abwehr, überhaupt von jemandem abhängig zu sein.
  2. Sich selbst aufzugeben, um unter allen Umständen die Beziehung aufrechtzuerhalten.

Diese sind quasi als “Verlustangst-Symptome” zu sehen, als unbewusste Entscheidungen, die durch die frühkindliche Erfahrung entstanden sind.

Entwicklung 1: Ich brauche niemanden

Im ersten Fall führt das zu einer übertriebenen Autonomie. Man entwickelt kaum ein richtiges Gespür für die Verbindung in der Beziehung, weil man die tiefe Angst auf keinen Fall nochmal spüren möchte.
Erst, wenn der Partner oder der Freund geht, kommen das echte Leiden und der Schmerz.

Entwicklung 2: Ich kann nicht ohne dich leben

Das andere Extrem ist, wenn Menschen das Gefühl haben zu sterben, wenn sie allein gelassen werden. Sie gehen nicht in Verbindung, sondern Symbiose mit der anderen Person. Das sorgt für ein große Verunsicherung für beide Partner, denn diese Menschen haben die Definition von Leben: „Ich lebe nur, wenn du da bist!“
Bei jedem Konflikt oder Kontaktabbruch geht alle Basis und Sicherheit verloren.

Verlustangst überwinden

Du ahnst es sicher schon, auch hier ist der erste Grundsatz: Es passiert nicht von heute auf morgen und es gibt auch keine Tipps und Tricks diesen Prozess abzukürzen.

Die Verlustangst-Therapie funktioniert nur über den Weg, Sicherheit zu gewinnen. Und diese muss man neu erlernen:

  • über andere Erfahrungen
  • über die Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls

Mach dir klar, dass du Trennungsschmerz im Leben nicht vermeiden kannst! Und du kannst dich auch nicht davor schützen, indem du entweder jedes Gefühl für die Verbindung vermeidest oder dich selbst dafür aufgibst. Im Gegenteil: Durch dieses Verhalten blendest du das Schöne aus, was du in Beziehungen und Begegnungen erleben kannst und die Verlustangst überschattet alles.

Hinter diesen Mustern steckt eine Todesangst. Es ist wichtig, dass du das anerkennst, dir dabei aber gleichzeitig bewusst machst, dass du heute erwachsen bist und nicht sterben wirst. Nur dann kannst du anfangen, dich selbst im Kontakt neu zu erleben.

Fange mit kleinen Dingen an: Halte die Hand einer vertrauten Person oder gestalte eine Umarmung etwas länger und bewusster, als du es sonst tust. Und schau dabei immer wieder, was in deinem Körper passiert.
Was auch wichtig ist: Nimm dich und deinen Wert für andere ernst. Trau dich auch mal zu fragen, was andere an dir schätzen und mögen und warum sind sie gern mit dir zusammen sind. Wie fühlst du dich dabei mit der anderen Person?

Das alles fühlt sich anfangs sehr ungewohnt an und ist oft verwirrend. Mit der Zeit können sich aber der Kopf und der Körper an diese Begegnungen gewöhnen und sie immer bewusster mitgestalten.

Wie Trauma sich auf unsere Beziehungen auswirkt

Dass Trauma und Verlustangst sehr viel miteinander zu tun haben, hast du gerade lesen können. Die Auswirkungen traumatischer Erfahrungen auf die Art, wie wir in Beziehungen mit anderen umgehen, sind aber noch vielfältiger. Hier findest du noch mehr zum Thema:

Wie muss ich sein, damit du mich liebst?
Trauma und Kontakt
Trauma und Bindung

Darüber, wie wir unsere Lebensbeziehungen erfüllter gestalten können, habe ich einen eigenständigen Onlinekurs gemacht:
Erfüllte Liebe leben

Du willst mehr zum Thema Trauma wissen? Dann informiere dich auf meiner Seite z.B. dazu, was ein Trauma ist, welche Trauma-Symptome es gibt und wie eine Traumatherapie bei unserem Team aussieht.

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6 Kommentare

  1. Liebe Dami,
    danke für deine Arbeit!
    Wieder sehr verständlich und nachvollziehbar rübergebracht. Klar, wir können alle nur selbst an uns arbeiten. Aber was macht man, wenn man aus Angst vor Verlust überhaupt gar keine Beziehung eingeht und sich total sozial isoliert hat?
    Ist es dann überhaupt Verlustangst oder eher die Angst vor etwas anderem? Bei mir ist es oft so, dass ich jegliche Kontakte (also nicht nur partnerschaftlich.Beziehungen) abbrechen lasse, auch wenn mein Gegenüber immer wieder versucht, diese aufrechtzuerhalten.
    In der Therapie lernen, ist gut gemeint, aber durch dich und deine Videos/Beiträge lerne ich definitiv am meisten über mich und die Gründe und Auswirkungen meiner Störungen

    Antworten
  2. Ich bin dir so dankbar für deine wertvolle Arbeit.ich verstehe mich so viel mehr als früher und ich bin unendlich dankbar das du es kostenfrei zum lesen hier reinstellst.

    Antworten
  3. Eine Überwindung der Bindungsangst ist bei mir leider ganz stark gekoppelt an die Fähigkeit zu vertrauen. Und diese Fähigkeit nimmt fortschreitend mit jeder negativen Erfahrung ab. Das Vertrauen in mich selbst aber auch in andere Menschen sinkt spürbar mit jeder erlittenen Verwundung. Eine Flucht in die Isolation ist da eben leider eine Umgangsweise, die der Aufrechterhaltung der letzten verbliebenen Stabilität dient. In dieser Sicherheitszone, bin ich ja erst einmal vor weiteren Zumutungen, Zurückweisungen und Unberechenbarkeiten sicher. Langfristig ist das aber auch eine sehr ungesunde Lösung.

    Antworten
    • Hallo Lilly,
      das ist eine verständliche Reaktion und gleichzeitig auch sehr tragisch.
      Sicherheit und Vertrauen kannst du nur durch Erfahrungen mit anderen Menschen wieder gewinnen.
      In einer bindungsorientierten Therapie kann man das nachnähren, aber auch im Kontakt zu liebevollen Menschen.
      Ich wünsche dir einen Weg zu mehr Verbindung!
      Herzliche Grüße
      Dami

      Antworten
  4. Vielen Dank für dieses Thema! Gleich beim Zuhören bin ich in meine Vergangenheit eingetaucht und was Verlustangst bei mir alles angerichtet hat – einfach furchtbar. Meine erste Ehe ist wohl durch die unbewußten Auswirkungen daran gescheitert. Auch die Todesangst kenne ich nur zu gut und Konflikte werden vermieden.
    Ich bin jetzt 73 und arbeite immer noch an diesem Thema. 2 Psychotherapien konnten vor Jahren dieses Thema nicht richtig packen. Auch jetzt, wo ich wieder vor einer notwendigen Trennung (Partner hat Demenz und muß in absehbarer Zeit ein Heim) spüre ich schon wieder diese untergründige Angst – aber ich bin dabei meine Entwicklungstraumen anzusehen und daran zu arbeiten. – DANKE

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  5. Mein Vater starb als ich 6 Jahre alt war. Vor ihm hatte ich immer große Angst, doch das Gefühl, dass er mich liebt. Nun hatte ich nur noch meine narzisstische Mutter. Nach einiger Zeit sagte sie zu mir, dass sie auch weggehen würde, wenn ich nicht brav wäre und dass ich dann ganz alleine sei. Ich geriet dann immer in große Panik, wenn sie mal kurz weg war, und nur meine erwachsenen Brüder da waren um auf mich aufzupassen.
    Unter diesen Panikattaken leide ich auch heute noch.

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