Über die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen

Wie nicht getroffene Entscheidungen das Leben prägen

Hallo, ich bin Helgrit und heute möchte ich über etwas schreiben, das mich immer wieder sehr bewegt, mit dem ich oft kämpfe und das mein Leben beeinflusst.

Es fiel mir immer schwer, Entscheidungen zu treffen, und Veränderungen machten mir Angst.

Ich bin eher den (vermeintlich) leichteren Weg gegangen, nichts zu tun und nur darauf zu reagieren, was mir an Herausforderungen vor die Füße gelegt wurde.

Ich habe mich und mein eigenes Leben mehr oder weniger von außen bestimmen lassen.

Nun stelle ich fest, dass das mein Leben gar nicht leichter macht, sondern ich mein Leben einfach nicht wirklich lebe.

Mein Leben ohne eigene Entscheidungen

Ich habe mich nicht zu jeder Zeit unfähig gefühlt, Entscheidungen zu treffen. Wenn ich so zurückschaue, dann kann ich sehen, dass auch ich Phasen in meinem Leben hatte, in denen ich mich ausprobiert habe und neugierig auf das Leben war.

Spannenderweise sind diese Zeiten in meiner Erinnerung unbeschwert und voller schöner Erlebnisse. Auch mich selbst sehe ich dann in einem ganz anderen Licht, vor allem viel lebendiger.

Mein Kopf weiß, das kann so nicht ganz stimmen. Auch damals habe ich immer wieder an mir gezweifelt und es lief nicht alles nur gut für mich. Trotzdem bin ich immer wieder aufgestanden und losgelaufen.

Bis eine anfangs sehr schöne Veränderung nicht gut für mich endete. Warum gerade diese eine Erfahrung für mich so nachhaltige Konsequenzen hatte, kann ich heute nicht mehr so richtig beurteilen.

Die Zeit danach war nur noch ein ständiger Kampf darum, den nächsten Tag zu überstehen.

Als ich dann irgendwann die ersten zaghaften Schritte zurück ins Leben gewagt habe, war Sicherheit mein größtes Bedürfnis, und ich fing an, alles in meinem Leben danach auszurichten.
Mit fatalen Folgen.

Ich habe aufgehört, selbst Entscheidungen zu treffen

Je weniger ich mir selbst vertraut habe, desto mehr Gewicht bekamen die Meinungen anderer. Stück für Stück habe ich die Verantwortung für mein eigenes Leben an andere abgegeben, andere entscheiden lassen, was gut für mich ist, was ich tun oder besser lassen sollte.

Am Anfang war das sogar hilfreich für mich, weil es mir aus einer schlimmen Krise geholfen hat.

Ich hatte nur zwei entscheidende Fragen aus den Augen verloren: Auf wen höre ich und wann ist der Zeitpunkt gekommen, das Zepter wieder selbst in die Hand zu nehmen?

Konkret sah das für mich so aus, dass ich über zwanzig Jahre in einer Beziehung geblieben bin, die schon lange nicht mehr glücklich war, und mich beruflich mit dem Gedanken eingerichtet habe “Das mache ich jetzt bis zur Rente”.

Die Urlaube habe ich immer an den gleichen Orten verbracht, weil mein Partner das so wollte, und im Alltag war ich von Leuten umgeben, die eher etwas mit seinem Leben zu tun hatten.

Ich habe mich kaum noch daran beteiligt, wie unser Zuhause gestaltet ist oder was wir am Wochenende planen.
Dinge, die erledigt werden mussten, habe ich vor mir hergeschoben, bis sie zu Problemen wurden.

Ich fing an, meine Freundschaften nicht mehr gut zu pflegen, alles, was mir eigentlich Freude macht, habe ich nach und nach aufgegeben.

Äußerlich schien alles ganz normal zu sein, innerlich machte sich immer mehr Resignation und Leere breit. Ich konnte mich gerade noch aufraffen, zur Arbeit zu gehen. Für alles andere lohnte kaum das Aufstehen.

Bis ich an den Punkt kam, dass ich so nicht mehr weiterleben wollte. Erst dann habe ich angefangen, mich auf den Weg zu machen und etwas für mich zu tun.

Wenn man nichts entscheiden kann

Es gibt ganz sicher verschiedene Ursachen dafür, die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, zur eigenen Lebensphilosophie zu machen und manchmal ist es tatsächlich eine Überlebensstrategie.

Wenn ich darüber nachdenke, warum ich diesen Weg eingeschlagen und so lange daran festgehalten habe, dann stoße ich auf jede Menge Überzeugungen und Glaubenssätze:

  • Ich schaffe das nicht.
  • Ich mache immer alles falsch.
  • Ich bin zu faul, zu bequem, zu dumm …
  • Ich entscheide mich immer falsch.

Allein das hier aufzuschreiben, versetzt mich in einen Zustand von Resignation und Hilflosigkeit. Diese Hürde zu überwinden kostet mich immer wieder viel Kraft.

Je länger und öfter ich in diesem Zustand bleibe, desto schwieriger wird es, mich da wieder raus zu kämpfen.
Und manchmal schaffe ich das nicht allein und brauche Hilfe.

Mir kann keiner helfen!

Davon war ich lange Zeit zutiefst überzeugt.

Es fällt mir bis heute schwer, die passenden Worte zu finden, und das wirkliche Problem ist für mich kaum greifbar.
Wenn ich gefragt werde, was ich brauche, bin ich völlig ratlos. Dazu kommt die Angst, mich mit meiner Unsicherheit, meinen Unzulänglichkeiten und meiner Traurigkeit zu zeigen.

Es hat sehr lange gedauert, bis ich mir eingestehen konnte, dass ich es allein nicht schaffe. Und es hat eine klare Entscheidung gebraucht.

Inzwischen habe ich Menschen gefunden, die mir das Gefühl geben, okay zu sein, die mich ermutigen und auch dann bei mir bleiben, wenn ich unsicher und orientierungslos bin.

Das ist eine sehr schöne Erfahrung, für die ich immer aufs Neue dankbar bin.

Wenn ich etwas ändere, wird es mir auch nicht besser gehen

Leider steckt in dieser Aussage auch ein Funken Wahrheit.

Jedenfalls erlebe ich es so, dass eine Veränderung nicht gleichbedeutend damit ist, dass es mir sofort besser geht.

Meistens ist es eher umgekehrt, ich fühle mich erstmal schlechter.

Etwas anders zu machen, als ich es gewohnt bin, heißt für mich, zuerst genau hinzuschauen, was gerade nicht so gut läuft.

Welchen Anteil habe ich daran, was habe ich gemacht, um in diese Situation zu geraten und was muss ich an mir ändern.

Was gibt es für mich zu tun?

Das ist immer wieder hart und begleitet von Scham, Schuldgefühlen und Traurigkeit.

Um etwas zu verändern brauche ich Zeit und den Mut etwas zu tun, was sich fremd anfühlt. Nicht vorhersehen zu können, wohin mich diese Veränderung wirklich führt, ist ein weiteres Hindernis.

Wenn ich dann noch das Gefühl habe, dass der neu eingeschlagene Weg in eine Sackgasse führt, dann ist die Versuchung groß, aufzugeben.

Ich kann das nicht! … Oder will ich nicht?

Manchmal steckt bei mir hinter dem “Ich kann das nicht!” tatsächlich die Frage “Will ich das überhaupt?”
Diese Frage kann ich selten sofort beantworten und sie führt mich immer noch zu oft in einen Strudel an Selbstvorwürfen.
Hilfreich ist das nicht.

Wenn ich es schaffe, mir vorzustellen, wie sich das Ergebnis anfühlen könnte, dann wird es klarer und hilft mir dabei, eine Entscheidung zu treffen und los zu gehen.

Langsam wird mir klar, dass auch etwas nicht zu tun, ein aktiver Prozess ist. Ich versuche diesen immer mehr bewusst zu gestalten. So kann ich immer besser erkennen, welche Auswirkung das, was ich tue, oder eben auch nicht tue, darauf hat, wie ich mich fühle.

Was ist Selbstwirksamkeit?

Unter Selbstwirksamkeit versteht die Psychologie die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können.

Ich kannte diesen Begriff gar nicht und es fällt mir immer noch schwer, den Zusammenhang zu sehen, zwischen dem, was ich tue und was ich daraufhin erlebe. Oft glaube ich, wenn etwas gut läuft, dass ich dann da eben Glück gehabt habe.

Der Gedanke, dass ich sowieso nichts bewirken kann, hat immer wieder dazu geführt, dass ich lieber nichts tue.

Lange Zeit konnte ich nicht erkennen, dass auch jede Entscheidung, die ich nicht treffe, trotzdem Einfluss auf mich und andere hat. Auch die Entscheidung, nichts zu tun, ist eine Entscheidung und hat Konsequenzen für mein Leben. Mit dem Unterschied, dass ich das Ruder aus der Hand gebe und versuche zu vermeiden, Verantwortung zu übernehmen.

Nur keine Fehler machen!

Wenn ich Fehler mache, zeigen diese dann, dass ich falsch bin oder gar unfähig?

Auch das ist eine Angst, mit der ich mich immer wieder auseinandersetzen muss.

Genau zu schauen, wo ich einen Fehler gemacht habe, lässt mich regelmäßig vergessen, was ich alles richtig gemacht habe.

Es ist so, als würde ein Scheinwerfer angehen und den Fehler von allen Seiten beleuchten. Alles andere verschwindet dann in der Dunkelheit und ich fühle mich schuldig und falsch.

Das ein Fehler auch eine Chance zum Wachsen und sich Weiterentwickeln ist, lerne ich gerade.

Genau wie die Tatsache, dass Fehler machen nicht automatisch heißt, dass ich grundsätzlich falsch bin.

Love it, leave it or change it!

Für mich bleibt am Ende die Frage: Ist Nichtstun immer falsch?
Es werden mir immer wieder Dinge begegnen, die ich nicht ändern kann.
Manchmal kann ich einfach nichts tun oder verändern. Dann merke ich, dass ich Zeit brauche, um das zu betrauern und es akzeptieren zu lernen.

Das ist schwer auszuhalten und für mich ist es auch schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu finden, wieder aktiv zu werden und eine bewusste Entscheidung für einen anderen Weg zu treffen.

Love it: Kann ich mich mit der Situation anfreunden? Bin ich eigentlich ganz zufrieden, kann Kompromisse eingehen und einen Ausgleich für das finden, was mir fehlt?

Leave it: Habe ich das Gefühl, dass ich nur noch unglücklich bin und es bleibt mir nur, loszulassen und den eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen?

Change it: Vieles scheint nicht zu passen und trotzdem ist es mir so wichtig, dass ich daran festhalte? Was kann ich verändern, dass es wieder stimmig wird?

Die große Kunst für mich besteht darin, zwischen diesen drei Punkten zu unterscheiden.

Das vermeide ich immer dann, wenn es mit Schmerzen verbunden ist oder ich gar nicht erkennen kann, was zutreffend ist.
Was ich gelernt habe:

  • Herauszufinden, was ich selbst wirklich will, wo ich mich finde und welche Bedürfnisse ich habe, gleicht nach den vielen Jahren der Untätigkeit einer Spurensuche.
  • Der Weg dahin geht nur über Ausprobieren, immer wieder genau Hinschauen, mich neu entscheiden und wieder Ausprobieren.

Für mich geht es also darum immer wieder den Mut zu finden, mich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden, nach der Entscheidung zu handeln und die Konsequenzen zu tragen.

Wieder neugierig auf das Leben sein

Inzwischen bin ich dabei, mein Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen.

Auf meinem Weg ist mir viel Schönes und Überraschendes begegnet.

Ich habe Hürden überwunden, von denen ich glaubte, sie wären viel zu hoch für mich, und Dinge erreicht, die ich mir nicht vorstellen konnte.

Und ich lerne Seiten an mir kennen, die ich viel zu lange klein gehalten habe. Meine Kraft, zum Beispiel, und dass ich für meine Bedürfnisse einstehen kann.

Meine Freundschaften sind intensiver geworden und ich habe neue Menschen kennengelernt, die mein Leben bereichern.

Je aktiver ich in mein Leben gehe, desto mehr Türen öffnen sich, und ich bekomme neue Möglichkeiten, mich auszuprobieren.

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