Wie uns Trauma hindert uns im Körper zu Hause zu fühlen

Viele Menschen vermissen Lebendigkeit und Freude in ihrem Leben und leiden daran, sich nirgendwo wirklich zu Hause zu fühlen. Gerade Menschen mit frühen Traumatisierungen erleben sich selbst meist als fremd in der Welt und haben das Gefühl, Zuschauer in ihrem eigenen Leben zu sein. Häufig wird dies beschrieben als Glaswand zwischen sich selbst und den anderen.

Die Sehnsucht endlich nach Hause zu kommen

Die Sehnsucht irgendwo ein zu Hause zu finden und diesem inneren Gefühl des falsch-seins und der nicht-Zugehörigkeit zu entfliehen, ist oft ein großer Motor nach Hilfe zu suchen. Häufig wird auf diesem Weg dann vieles intellektuell verstanden, doch an dem Grundgefühl ändert sich oft wenig.​

Willkommen in der Welt sein

Dies liegt daran, dass die grundlegende Erfahrung des Willkommen-seins in dieser Welt fehlt. Haben wir diese Erfahrung nicht gemacht, bleibt die Welt ein fremder und gefährlicher Ort und wir landen nicht wirklich in diesem Leben. Es ist ein bisschen so, als hätte man einen Fuß im Leben und einen Fuß in einer anderen Welt oder dem Tod.

Der Schlüssel ist unser Körper

Der Schlüssel, um eine Heimat zu finden, ist unser Körper. Dies ist unser Zuhause für dieses Leben. Nur, wenn wir uns mit diesem Haus anfreunden und darin einziehen, kann sich das grundlegende Lebensgefühl ändern und wärmer und heller werden.

In diesem Video erzähle ich ein bisschen mehr darüber:

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Transkript

D: Hallo, ich bin Dami Charf. Willkommen zu meinem Blog Traumaheilung auf traumaheilung.de. Ich freue mich, dass Du dabei bist. Das heutige Thema ist die Verkörperung oder Nichtverkörperung, die bei frühen Traumatisierungen stattfindet.

Ich versuche mal, das zu erklären. Wir haben festgestellt, wenn wir mit Menschen arbeiten, die sehr frühe Verletzungen oder Bindungsverletzungen erlitten haben, dass diese oft überhaupt nicht da oder nicht in ihrem Körper gelandet sind. Das ist ein großes therapeutisches Thema, das in Therapien aber leider wenig Beachtung findet, weil es in Gesprächstherapien eben einfach nicht wirklich Thema ist und weil man es ein Stück weit sehen und fühlen muss.

Das Bild, mit dem wir immer arbeiten und versuchen, es unseren Klienten zu erklären, ist, dass wir während oder schon vor der Geburt in diesem Körper landen müssen. Was immer Du für ein Welt- oder Glaubensbild hast, das ist der Moment, in dem wir in uns landen müssen und diesen Körper als Zuhause bekommen. Dieser Vorgang funktioniert nicht, wenn ich nicht willkommen geheißen werde, wenn da niemand ist, der mir sagt: „Wie schön, dass Du da bist“ oder wenn Vernachlässigung geschieht. Damit meine ich schon, dass man irgendwo allein im Zimmer gelassen wird, alleine im Krankenhaus liegt oder Eltern nicht einfühlsam oder präsent sein können und sie selbst an Depressionen oder Ängsten leiden.

Dann landen wir sozusagen nicht wirklich in unserem Körper, sondern es ist, als würde unsere Seele, Psyche, wie auch immer man das nennen möchte, quasi noch ein Stück draußen bleiben. So beschreiben das auch viele Betroffene. Dass es ist, als wäre man, und das kenne ich auch von mir selbst, im Universum unterwegs. Wie empfindest Du das denn in unserer oder Deiner Arbeit?

S: Ich glaube tatsächlich, die Verkörperung fängt schon früher an, vor der Entbindung. Es gibt ab einer bestimmten Woche den Moment, im Zuge der Embryonalentwicklung, in dem Zellen sich entscheiden, die Zelle zu werden, die sie werden – dass zum Beispiel eine Leberzelle weiß, sie wird eine Leberzelle und so weiter. Vorher ist das ein großer Haufen, und dann weiß, aus welchen Gründen auch immer, eine Zelle plötzlich, dass sie zur Hautzelle wird oder zur Leberzelle oder zur Niere und so weiter.

D: Ein faszinierender Prozess!

S: Ja, schon ein Wunder! Man sagt ja auch, das „Wunder des Lebens“, und an dieser Stelle kann man das, denke ich, gut nachvollziehen. Hier fängt, meines Erachtens, schon deutliche Verkörperung an. Da weiß der Körper eben, welche Zelle welche ist und was er ist, in seiner Struktur. Ich glaube, über die normale Geburt, wenn ein Fötus durch den Geburtskanal geht, kriegt er noch einmal eine Information durch die starke Komprimierung und kann sich sozusagen noch ein bisschen mehr in den Körper zurecht ruckeln, um dann möglichst freundlich willkommen geheißen zu werden.

Du hast ja schon gesagt, das ist meistens nicht der Fall. Es gibt ganz interessante Videos über Geburten und wie unterschiedlich sie sein können. Ich habe mal eine Geburt gesehen, bei der ich gedacht habe, die sind alle wahnsinnig freundlich, alle Schwestern, alle Hebammen, und auch die Ärzte sind total freundlich zu dem Kind. Aber dieses Kind schreit und schreit und schreit. Und alle denken, es schreit, weil es froh ist auf der Welt zu sein oder, weil es eine gesunde Lunge hat. Aber man sieht diesem Kind an, dass es so viel Stress hat. Dabei denke ich, es wäre wirklich viel sinnvoller, dem Kind mehr Zeit zu lassen anzukommen, mal durchzuatmen, sich im Körper zurechtzufinden, und es nicht gleich über die mentale Ebene, also den Kopf, so zu konfrontieren. Kinder sind wie ein Schwamm, und dieser Schwamm müsste sich eigentlich erstmal, wenn er auf der Welt ist, nach dieser starken Komprimierung ein bisschen lüften, entspannen und füllen. Da wird, mit dieser Überwältigung, die oft direkt nach der Entbindung kommt oder auch schon währenddessen, so ein armes System ziemlich in Stress versetzt.

D: Also fängt da die Dysregulation schon an – und eine Traumatisierung ist wirklich nichts Anderes als eine Dysregulation. Deswegen braucht man, unserer Ansicht nach, auch nicht unterscheiden zwischen Entwicklungs- oder Schocktrauma. Es geht einfach darum, wie gut oder schlecht ich reguliert bin. Und da fängt eine Dysregulation an, weil eine globale Übererregung im System entsteht, die womöglich nicht von außen reguliert wird, obwohl das Kind das selbst noch nicht kann.

Wenn das alles gut laufen würde, würde das Kind in Stille auf den Bauch gelegt werden und dürfte dort erst mal liegen. Dann beginnt es von selbst irgendwann den Prozess der Selbstanbindung – das heißt, es krabbelt nordwärts in Richtung Brust, bindet sich selbst an und wird empfangen, in dieser irdischen, körperlichen Welt. Für das Kind ist das ein neuer Planet, könnte man sagen. Es war neun Monate im Wasser und plötzlich ist es an Land und völlig anderen Kräften ausgesetzt. Allein das ist schon furchtbar aufregend. Da ist unser Job eben das Empfangen und dem Kind Regulation zu bieten. Wenn das alles nicht passiert, was denkst Du, was im Zuge der Verkörperung passiert, oder was Menschen später davon spüren?

S: Meine Erfahrung ist tatsächlich die, dass sowohl die Erwachsenen, als auch ältere Kinder, ihren Körper nicht wirklich bewohnen. Sie fühlen sich dann wie ein leeres Gefäß. Da ist nicht viel drin an Energie, muskulärer Spannung. Oder es ist zu viel muskuläre Spannung, das kann auch sein, aber es ist kein Gefühl von Fülle. Es fehlt diese Fülle. Es ist alles so reduziert auf Körperspannung, um sich selbst Halt zu geben. Oder es gibt einen Systemkollaps, eine Resignation, wo alles ganz schlapp ist. Wenn es noch eine Stufe schlimmer wird, fühlt es sich an, als würde man hindurch greifen können. Da ist nichts an Substanz, das einen aufhält oder einem Widerstand bietet.

Da kann man eigentlich ziemlich sicher sein, die Leute sagen dann auch, sie haben das Gefühl, sie sind nicht hier auf der Welt. Sie haben das Gefühl, sie sind ein Alien, keiner versteht sie, keiner sieht sie und sie wissen oft nicht, wie sie sich beschreiben sollen. Das liegt daran, dass dieser Impact zu einer Zeit passiert ist, zu der es noch keine Sprache gab. Das höre ich häufig von Klienten, die in dieser frühen Phase schon so gestört worden sind in dem, wie sie sich empfinden. Dass sie keine Worte haben, um zu beschreiben, wo sie sind. Wenn sie in Therapie gewesen sind, kommt auch häufig das Gefühl, dass sie sich ihrem Therapeuten gegenüber nicht verständlich machen können, weil sie sich nicht ausdrücken können. Das wird vonseiten des Therapeuten leider oft als Widerstand gedeutet. Oder die Therapeuten sagen, dann sind wir jetzt also am Ende und sie sind gesund. Diese Leute kriegen ihren Alltag ja auch oft geregelt, sie sind zum Teil hochfunktional.

D: Die Funktionalität bricht meistens erst später im Leben zusammen, wenn man das alles nicht mehr halten kann, weil die Dysregulation einfach wahnsinnig anstrengend zu überschreiben ist. Um was es geht, ist, sich zurückzuholen und einen Weg zu bahnen, diese dissoziierten Teile einzuladen, zurückzukommen. Das ist natürlich mit Schmerz verbunden. Das tut weh, das ist traurig, das bricht einem unter Umständen wirklich das Herz, wenn man plötzlich spürt, wie eng der Körper ist, nachdem das Universum so weit war. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Gefängnis oder man bekommt das Gefühl, man muss ganz eng werden. Wenn Leute viel Zeit da draußen verbracht haben, ist das nicht etwas, über das sie sich freuen. Das ist oft etwas, wo sich Leute dann denken, sie sind falsch, oder es fällt ihnen schwer, zu beurteilen, ob etwas gut läuft, obwohl es weh tut.

Aber wie gesagt, mein Maß ist immer, dass etwas gleichzeitig wirklich besser werden sollte. Also tut es weh und ich habe Schmerzen, ich bin traurig, aber gleichzeitig sollten sich neue Gefühle und Wege öffnen. Dann ist man auf dem richtigen Pfad.

S: Aber es kann eine Zeitlang auch ein bisschen unangenehm sein.

D: Ganz sicher. Ich weiß, bei mir war es ein Jahr lang ganz unangenehm. Aber ich habe trotzdem immer das Gefühl gehabt, etwas anderes geht auf. Das war sehr eindeutig für mich.

S: Was ich an der Stelle sehr wichtig finde, ist die Position des Therapeuten: Dass wir sozusagen die Stellung halten. Dass wir, selbst wenn es dem Klienten eine Zeitlang nicht gut geht, trotzdem das Gefühl vermitteln, so wir es denn haben und es echt ist, dass das ein Übergang ist und etwas dabei herauskommt. Das ist wichtig, denn sonst ist ein Klient wirklich verloren.

D: Das ist eine Haltung von uns, dass wir eine Zeitlang für Dich praktisch die Hoffnung halten und das Wissen, dass es weitergeht. Das finde ich ganz wichtig! Wir brauchen alle jemanden, der an uns glaubt und ich glaube, dass es in Therapie unsere Aufgabe ist, an das Potential und die Möglichkeiten zu glauben. Wenn ich manchmal höre, dass Klienten sagen, ihre letzten zwei Therapeuten haben ihnen gesagt, es ist hoffnungslos mit ihnen, denke ich mir, dass das eine ziemliche Anmaßung ist. Wenn Du das selbst erlebt oder gesagt bekommen hast, möchte ich Dich wirklich unterstützen – das ist eine Meinung und keine Wahrheit! Als Therapeutin kann ich immer nur eine Meinung geben, aber das ist natürlich keine Wahrheit. Ich kann sagen, ich komme mit Dir nicht weiter, das sagt aber überhaupt nichts über Dein Potential aus.

S: Was ich als Therapeutin noch wichtig finde, ist, tatsächlich das Potential und die Gesundheit im Klienten zu sehen. Da kann furchtbar viel Müll drauf liegen, die Menschen kommen ja nicht umsonst mit ihren Beschwerden. Aber wenn ich das Gefühl habe, da ist etwas ganz Gesundes und da sind viele Möglichkeiten, die nur sehr vergraben sind, dann halte ich an dem fest, was da tatsächlich im Kern zu finden ist und gebe Hilfestellung im Abräumen des Müllberges, bis wir am Kern gelandet sind. Das merken die Klienten ganz schnell, keine Ahnung, wie, aber da geht oft irgendetwas in Resonanz. Es macht die Klienten häufig erst ein wenig ungläubig, aber wenn das wirklich aus meiner tiefen Überzeugung kommt, dann resoniert das auch in ihnen.

D: Ich glaube auch fest, dass wir mit den Macken, die wir haben, alle tausend Jahre arbeiten können, es darum aber gar nicht geht. Worum es geht, ist, andere zu fördern und die Macken und Neurosen und Verletzungen und Schmerzen zu verarzten. Aber das bist nicht Du. Was darunter liegt an Gesundheit, Vitalität und Sehnsucht, das bist Du!

Um aber zu unserem Thema zurückzukommen: Verkörperung ist etwas, das für Menschen mit frühen Verletzungen ein ganz zentrales Thema ist. Weil wir oft diesen Körper nicht bewohnen und Hilfe brauchen, ihn auf allen möglichen Ebenen zu spüren. Wir kommen nicht zum Ich ohne ein Du, ich muss das immer wieder betonen! Ich kann nicht in diesen Körper fallen, ohne eine Spiegelung und oft auch nicht, ohne mal eine Hand zu haben, die mich hält. Das hilft mir, mich zu fühlen und mich selbst auszuhalten in meinen Schmerzen. Dass da jemand ist, der mit mir da ist.

S: Das ist ganz schön schwierig, je nachdem, aus welcher Ecke man kommt.

D: Ja, aber das ist es, was es zu lernen gilt. Wenn ich das nicht kann, von der einen oder von der anderen Seite, kann ich auch keine Beziehung führen. Wenn das schon nicht funktioniert, wie soll ich denn noch intimer mit jemandem sein? Das heißt, das ist für mich ein großer therapeutischer Auftrag. Das bedeutet nicht, dass ich jede Stunde mit jemandem Händchen halten muss, aber es geht darum, diesen Kontakt und damit auch das mal zu üben.

Das ist zumindest unsere Meinung dazu. Wie gesagt, es gibt keine Wahrheit, nur eine Meinung. Das ist aber unsere Position und Erfahrung. Wenn ich diesen Kontakt mit jemandem nicht hinbekomme, oder derjenige ihn auch gar nicht mit mir haben möchte, ich auch keine Therapie weiterzumachen brauche. Dann ist die Person bei jemand anderem schlicht und ergreifend besser aufgehoben. Ich weiß, wir brauchen alle ein echtes und präsentes Du, in dem ich mich spiegeln kann, das mich spiegelt, das mir eine andere Sicht auf mich selbst gibt und mir hilft, mich zu verkörpern.

Wir hoffen, dass auch diesmal für Dich etwas dabei war, womit Du etwas anfangen kannst, und ich würde mich freuen, wenn Du Lust hast, auf meiner Seite vorbeizuschauen.
Dort kannst Du Dich auch für einen Videokurs eintragen, gratis natürlich.
Ansonsten mache ich zweimal im Jahr einen Selbsthilfe-Onlinekurs zum Thema Trauma, in dem Du viel Übung und Anleitung bekommst.
Der nächste Kurs startet am 03.Oktober mit einem Gratis-Schnupperkurs und wenn Du möchtest, trag Dich einfach ein:
Mit Trauma leben
Ich freue mich aufs nächste Mal.
Bis dahin, tschüs, Dami und meine Kollegin Siggi.

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