Du suchst Übungen? Trage dich HIER für den kostenfreien Schnupperkurs zu "Mit Trauma leben" ein!

Warum wir oftmals weder Empathie noch Hilfe bekommen

Welch ein Irrsinn: Noch immer ist es so, dass alle diejenigen, die Gewalt erfahren haben, sehr oft selbst die schuldigen Täter sind. Erfahren Frauen Gewalt, sind sie zu aufreizend angezogen gewesen. Werden Kinder misshandelt, helfen wir nicht, weil es ja nicht „meine“, sondern die des Nachbarn sind – Besitzansprüche werden geltend gemacht! Die tatsächlichen Täter werden oft nicht belangt und die wirklichen Opfer müssen beweisen, dass sie unschuldig sind.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Ist es nicht verwunderlich, dass es in manchen Situationen, in denen du oder andere von etwas Schrecklichem aus ihrem Leben erzählen, sie keinerlei Empathie oder Mitgefühl bekommen? Vielmehr wendet sich das Gegenüber ab und möchte davon eigentlich nichts hören. Das ist für den, der diese Ablehnung erfährt, sehr verletzend!
Dieses Verhalten können wir z.B. schon erkennen (auch bei uns selbst!), wenn wir in unserer Nachbarschaft ein Kind weinen hören, dass von seinen Eltern geschlagen wird. Haben wir den Mut, nachzuschauen, was dort los ist, oder sie womöglich sogar anzuzeigen? In den meisten Fällen verhalten wir uns ruhig, stellen uns taub und handeln nicht.

Woran liegt das?

Bei diesem Verhalten sind verschieden Dynamiken am Werk. Zum einen ist das Wort „Privatleben“ in unserer Gesellschaft sehr bedeutend. Wir ziehen eine Mauer um uns herum. Hinter diesen Mauern kann ich machen, was ich will und niemand anderen geht das etwas an! Selbst wenn ich Unrechtes tue, so hat mir niemand reinzureden.
Damit einher geht das Wort „meins“. Nicht nur Dinge, sondern auch Menschen werden zu meinem Eigentum – „meine Kinder“, „meine Frau“, „mein Mann“ etc. So schön dieses Attribut auch sein kann, es beinhaltet aber auch einen oftmals gefährlichen Besitzanspruch. Und mit meinem Besitz kann ich umgehen, wie ich will!

Zwei Beispiele:

Der Ökophilosoph Derrick Jensen hat in einem seiner Bücher ein deutliches Beispiel aufgeführt. Er hat gesagt, wenn du ein Grundstück oder ein Haus hast und sich darin Ratten eingenistet haben, dann liegt es in deiner Entscheidungsgewalt, Gift zu streuen, um diese Ratten zu töten! Du darfst das, weil das Haus dir gehört, und dabei ist es ganz egal, ob du ein anderes Lebewesen tötest. Du tötest ja keine Menschen, aber andere Lebewesen sind okay!?
Da wird das Denken, das dahintersteht, ein bisschen offensichtlicher.
Ich selbst habe tatsächlich auch eine Situation erlebt, in der es um „Besitzansprüche“ ging. Ich saß mit meiner Freundin Susanne in einem Café. Als wir nach draußen auf die Straße blickten, fiel uns ein Pärchen auf, das in einen Streit verwickelt war. Wie aus dem Nichts bäumte sich der Mann plötzlich auf und schmiss seine Partnerin gegen einen dort parkenden Bulli. Ich bin sofort rausgelaufen und habe die Frau gefragt, ob sie Hilfe braucht. Aber nicht sie hat geantwortet, sondern der Mann: „Nein, wir brauchen keine Hilfe.“! Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass ich sie gefragt habe und nicht ihn. Nach einigem Hin und Her schließlich habe ich die Frau nochmal gefragt, ob sie Hilfe braucht. Und wieder hat der Mann geantwortet und zwar mit den Worten: „Nein, wir brauchen keine Hilfe, wir sind verheiratet!“
Gibt es dazu noch etwas zu sagen, ich glaube nicht!! Und ich finde es unsagbar traurig, dass z.B. das Verheiratet-Sein wie ein Freibrief zu sein scheint, der alle anderen abschreckt, die vielleicht helfen möchten, und man sich letztendlich nicht mehr traut, einzugreifen oder, so wie ich, eine Abfuhr bekommen.
Das ist eine Dynamik, die oft unterschätzt wird und uns immer wieder davon abhält, da Hilfe zu leisten, wo sie unbedingt notwendig ist, z.B. eben auch bei Kindern, die von ihren Eltern misshandelt werden.

Was ist schlimmer?

In früheren Jahren war es tatsächlich so, dass mindestens 6 – 7 Personen von einem Kind angesprochen werden mussten, um zu glauben, dass es sich bei Kindern um sexuellen Missbrauch handelt. Ich weiß nicht, wie die Zahl heute ist, aber die Zahl an sich spricht ja schon für sich. Für das betroffene Kind ist es nicht nur die Gewalt an sich, sondern eben auch noch, dass ihm nicht geglaubt wird.
Was ist schlimmer? Die Tat an sich oder das Nicht-gehört-werden durch Erwachsene, von denen man sich Hilfe erhofft? Es gibt keinen „Wettbewerb“ des Schreckens. Beides ist furchtbar. Aber wenn ich einem Kind direkt glaube, mich um es kümmere, versuche, das Leid zu sehen und zu mildern, dann hat das Kind größere Möglichkeiten, seinen Schmerz und sein erlittenes Trauma zu verarbeiten.
Verletzt werden ist das eine, aber dass mich niemand damit sieht, das ist einfach eine Katastrophe. Diese Reaktion löscht mich aus! Ich werde bedeutungs- und wertlos! Und das ist wirklich ganz, ganz schlimm!!

Selbst schuld!

Wir leben in einer täterzentrierten Gesellschaft.
Wer hat sich nicht schon die Frage stellen lassen, wenn das Fahrrad gestohlen wurde, ob man es denn auch abgeschlossen hatte? Oder hat dir jemand deine Brieftasche geklaut, ist doch die naheliegendste Frage: „Wo hattest du sie denn eingesteckt“?
Aus diesen Fragen wird klar, wer Schuld hat, nämlich du selbst!
Sehr deutlich wird es auch, wenn es um sexuellen Missbrauch von Frauen geht. Haben wir nicht schon alle die Behauptung gehört: „Ja, das hätte nicht passieren dürfen, aber wenn sie sich auch so anzieht, konnte ja nichts anderes passieren!“?
In einer meiner Fortbildungen war tatsächlich einmal ein Therapeut, der das auch so gesagt hat: „Natürlich kann sie nichts dafür, aber warum läuft sie denn auch nachts so rum?“.
Ich war so geschockt, dass ich kaum antworten konnte. Aber es war sehr schnell klar, dass er mit dieser Grundhaltung die Fortbildung verlassen musste. Diese Einstellung geht in keinster Weise!!!
Aber so eine Haltung spricht Bände. Sie macht klar, wer die Verantwortung trägt – nicht der Täter, sondern das Opfer. Wir müssen die Verantwortung wieder dahin geben, wo sie hingehört. Und das ist zu den Tätern. Als nächstes muss aufhören, dass Opfer danach gefragt werden, wie es dazu kommen konnte, und sie in der Beweispflicht sind.

Schuld und Schmerzabwehr

Die tieferliegende Dynamik wird offensichtlich, wenn ich schaue, worum es letztendlich eigentlich geht, wenn ich mich als Opfer schuldig fühle. Es geht um die Abwehr von Schmerz!
Wenn ich mich schuldig fühle, dann kann ich etwas tun, damit mir bestimmte Dinge nicht passieren. Ich ziehe mich nicht so an, dass ich auffalle, ich schaue immer, dass alles, was mir gestohlen werden könnte, gut verpackt ist – und dennoch passiert es!
Wenn du schuldig bist und du weißt warum oder du bildest dir ein, es zu wissen, dann kannst du aktiv etwas tun, damit dir das nie (wieder) passiert. Das ist die Dynamik darin. Sonst fühlen wir uns hilflos. Sonst könnte uns das ja auch passieren. Aber ich bin eine von den „Guten“, ich laufe „anständig“ rum, deswegen wird mir das nicht passieren. Und deswegen mache ich eine Trennung zwischen mir als Frau und dir als Frau und dann muss ich mich nicht mehr mit deinem Schmerz befassen.
Das ist die Dynamik. Und die läuft unter Frauen, die läuft von Männern zu Frauen, die läuft von Männern zu Männern und von Frauen zu Männern. Diese Dynamik ist einfach allgegenwärtig. Und wir können uns einfach nur dessen bewusstwerden und anfangen, anders zu reagieren und nicht nachzufragen. Sondern dem Täter direkt die Verantwortung zuweisen. Denn da gehört sie hin!

Fazit:

Das nochmal als Erklärung, warum wir oft auch keine gesellschaftliche Empathie bekommen. Wir grenzen uns ab und hoffen, uns passiert das nicht. Und damit bleiben die Betroffenen einfach sehr, sehr alleine. Das ist furchtbar schmerzhaft. Und das wiederum tut uns allen weh.
Wenn wir also genau schauen, was es für Folgen mit sich bringt, dann leidet die gesamte Gesellschaft!

Artikel teilen:

Ähnliche Artikel