Dami Charf und Verena König
Ein Leitfaden für den Umgang mit Schocksituationen
Traumatische Ereignisse treffen uns oft unerwartet und hinterlassen Betroffene wie Begleitende in einem Zustand der Überforderung. In diesem Artikel geben wir praxistaugliche Empfehlungen für den Umgang mit Akuttrauma – sowohl für Angehörige als auch für Helfende.
Sogenannte Schocktraumata sind meist einmalige Ereignisse, die uns völlig überfordern und uns hilflos und überwältigt zurücklassen. Diese innere Schockreaktion kann Momente andauern, aber auch Monate. In einigen Fällen bildet sich eine Posttraumatische Belastungsreaktion – PTBS – aus, die dann das Leben über Jahre stark belasten kann.
Manche Ereignisse wirken von außen betrachtet schwerwiegend, während bei anderen Erfahrungen nur die betroffene Person selbst spürt, wie belastend sie wirklich waren. Deshalb eine wichtige Erinnerung: Traumata entstehen in unserem Inneren. Ob ein Ereignis als traumatisch empfunden wird, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Es hängt von unserer persönlichen Geschichte ab, den Umständen, in denen wir uns in diesem Moment befinden, und der Resilienz, die wir in uns tragen.
Zur besseren Anwendbarkeit haben wir diesen Artikel in leicht zu lesende Abschnitte unterteilt. Er ist eine stark gekürzte Zusammenfassung unseres Gesprächs über Akuttrauma, das du in unseren Podcasts anhören kannst. Wir wünschen uns, dass er vielen Menschen direkt und indirekt hilft, mit den Schicksalsschlägen des Lebens besser umzugehen. Es wäre wunderbar, wenn wir alle lernen, uns besser gegenseitig zu unterstützen.
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Mehr InformationenDie Dynamik von Akuttrauma verstehen
Ein Schockerlebnis, sei es ein Unfall, eine Diagnose oder ein Gewaltvorfall, bringt sowohl Betroffene als auch Begleitende an ihre emotionalen Grenzen. Trauma entsteht ohne Vorwarnung und ist von einer intensiven Stressreaktion begleitet. Es ist wichtig zu wissen, dass das Verhalten traumatisierter Menschen nicht rational ist, da sie durch Stresshormone dysreguliert sind. Die Aufgabe der Begleitenden ist es, Sicherheit zu schaffen und nicht in Aktionismus zu verfallen.
Präsenz und emotionale Sicherheit schaffen
Eine der zentralen Aufgaben ist es, für die betroffene Person präsent zu sein und einen sicheren Rahmen zu schaffen. Dazu gehören:
- beruhigende Kommunikation: Spiegele, was passiert ist („Sie sind gestürzt und haben sich erschrocken“).
- Verlangsamung einführen: Lade die Person ein, innezuhalten, tief zu atmen, sich zu orientieren und einen Moment bewusst in der Situation anzukommen und evtl. auch zu realisieren, dass es nun vorbei ist.
- ein sicherer Ort: Wenn möglich, bringe die Person an einen Ort, der Schutz und Geborgenheit bietet. Falls es vertraute Menschen gibt, die nicht vor Ort sind, dann bitte um die Telefonnummern, um diese zu verständigen und zu bitten zu kommen.
Reaktionen des Körpers bei Akuttrauma erkennen und einordnen
Häufig beginnen Betroffene zu zittern oder zu weinen, wenn sie sich sicher fühlen. Dies ist ein gesunder Verarbeitungsmechanismus des Nervensystems.
Wichtig bei Schocktrauma ist:
- Lasse die Reaktionen zu.
- Sorge dafür, dass die Person warm bleibt.
- Unterstütze sie dabei, die Anspannung langsam loszulassen.
- Halte die Person dabei nicht so fest, dass diese Reaktionen nicht mehr möglich sind. Beruhigende Berührungen am Arm können manchmal hilfreich sein.
- Habe selbst keine Angst vor der Reaktion, sie ist gesund und normal.
Achtung: Kälte oder ein Gefühl von körperlicher Taubheit können auf einen Schock hinweisen, der akute medizinische Hilfe erfordert, wenn der Zustand nicht aufhört.
Die Rolle der Begleitperson
Als Helfende können wir uns schnell ohnmächtig fühlen. Doch unterschätze nicht, dass allein dein Dasein enorm beruhigend ist und manchmal alles ist, was es in einer solchen Situation braucht. Wir Menschen sind soziale Wesen. Nach einer als bedrohlich erlebten Situation können uns andere Menschen beruhigen und vermitteln, dass wir wieder in Sicherheit sind und wir dadurch loslassen können.
- Halte die Hand der betroffenen Person, wenn gewünscht.
- Hülle die Person in eine Decke oder etwas anderes, das Schutz bietet.
- Bringe warmen Tee – traue dich die Person zu „betütteln“, ohne aufdringlich zu sein.
- Hör zu, ohne Druck auszuüben und ohne sie zu nötigen, alles zu erzählen.
- Vermeide Ratschläge oder Schuldzuweisungen.
- Es kann hilfreich sein, zu sagen, dass die Person keine Schuld trifft und jetzt alles gut ist und sie hier sicher ist.
Reflexion für Helfende: Sei ehrlich zu dir selbst. Wenn du das Gefühl hast, die Situation nicht tragen zu können, ziehe Hilfe hinzu.
Schlaf und Selbstfürsorge
Schlaf ist entscheidend für die Verarbeitung von Trauma und für die Resilienz unserer Psyche. Wenn die betroffene Person über längere Zeit nicht schlafen kann, solltet ihr über die Gabe von Schlafmitteln nachdenken.
Am besten wäre es, wenn die Betroffenen dafür nicht extra eine Arztpraxis aufsuchen müssen. Falls ihr einen Arzt oder eine Ärztin (über Ecken) kennt, dann könntet ihr hier darum bitten, einen Hausbesuch zu machen oder überhaupt um Unterstützung bitten.
Ebenso ist es wichtig, dass auch die Helfenden ihre Bedürfnisse nicht vernachlässigen:
- Essen und Trinken nicht vergessen.
- Bewegung einbauen, um Spannungen abzubauen.
- Pausen machen und sich emotional entlasten.
Mit Gefühlen umgehen und Schocktrauma begreifen
Ein Trauma geht häufig mit intensiven Fragen wie „Warum ich?“ einher. Hier ist es wichtig, folgende Punkte zu beachten:
- Diese Frage ist nicht zu beantworten und macht oft alles nur schlimmer.
- Hilf der Person, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
- Vermeide, durch Bagatellisierung oder Ratschläge den Schmerz herunterzuspielen oder mindern zu wollen. Das machen wir oft, weil wir als Helfende den Schmerz oder unsere Hilflosigkeit nicht aushalten.
Richtiger Umgang mit Erzählungen bei Schocktrauma
Wenn Betroffene beginnen über das Erlebte zu sprechen, solltest du:
- Immer wieder kleine Pausen einführen, um eine Re-Traumatisierung zu vermeiden.
- Orientierung bieten, indem du auf Ressourcen und positive Aspekte lenkst (z.B. „Wie sind Sie nach Hause gekommen?“). Wir tun das nicht, um abzulenken, sondern um die Betroffenen nicht im Trauma-Strudel verschwinden zu lassen und um zu verhindern, dass sie alles nochmal erleben.
- Vermeide es, die Person zum Erzählen zu drängen.
Wichtig: Das Erzählen allein ist kein heilsamer Prozess, wenn die Person dabei nicht emotional präsent ist oder dissoziiert oder ständig überflutet wird.
Die eigene Resilienz stärken
Helfende können sekundäre Traumatisierungen erleiden.
- Achte daher auf deine eigenen Grenzen.
- Suche evtl. Austausch mit anderen Helfenden oder einer außenstehenden Person, die bereit ist, dir zuzuhören.
- Ziehe professionelle Unterstützung heran, wenn die Belastung zu hoch wird oder du im Nachhinein spürst, dass du in der Situation steckengeblieben bist und sie innerlich ständig wiederholst (was einige Tage lang normal ist).
Ergänzung: Vorbereitung und Nachbereitung von Operationen unter Vollnarkose
Operationen können sowohl physisch als auch emotional belastend sein. Auch wenn sie geplant sind, können sie Elemente eines Akuttraumas enthalten. Hier einige Tipps:
Vorbereitung:
- Informiert entscheiden: Manche Menschen möchten genau wissen, was bei der Operation passiert, während andere es vorziehen, nicht alle Details zu erfahren. Finde heraus, welcher Typ du bist, und plane entsprechend.
- Unterstützung organisieren: Bitte eine Vertrauensperson, dich zur Operation zu begleiten und danach bei dir zu sein. Falls möglich, frage, ob sie auch schon im Aufwachraum sein darf.
- Kontakt mit dem medizinischen Team: Stelle sicher, dass du mit AnästhesistIn und den Ärztinnen und Ärzten sprichst und sie einmal kennenlernst. Sympathie und Vertrauen wirken beruhigend auf uns.
- Betäubung: Bitte ggf. darum, zusätzlich zur Narkose auch noch eine örtliche Betäubung in dem Operationsgebiet zu erhalten. Dies kann wesentlich schonender für den Körper sein.
- Schmerzen nicht „aushalten“: Erlaube dir, Schmerztabletten nach der OP zu nehmen. Du möchtest so wenig Schmerzen wie möglich haben, damit sich kein „Schmerzgedächtnis“ bildet.
Nachbereitung:
- Körperliche Signale ernst nehmen: Der Körper kann auf eine Operation mit Symptomen wie Zittern oder emotionaler Überforderung reagieren. Gib dir die Zeit und den Raum, dies zuzulassen. Erlaube dir zu weinen oder zu zittern. Damit regulieren sich der Körper und die Psyche wieder. Informiere deine Begleitpersonen, dass dies passieren kann und es nichts „Schlimmes“ ist.
- Emotionale Begleitung: Körperliche Nähe und Gespräche mit vertrauten Personen können helfen, die Erlebnisse zu integrieren.
- Professionelle Hilfe suchen: Wenn belastende Gefühle oder Symptome anhalten, kann eine psychotherapeutische Begleitung hilfreich sein.
Besonders wichtig ist es, auf die Intubation und ihre Auswirkungen zu achten. Viele Menschen berichten, dass sie diese als invasiv und belastend empfunden haben. Das Bewusstsein darüber kann helfen, diese Erfahrung besser zu verarbeiten. Es gibt inzwischen unterschiedliche Formen der künstlichen Beatmung, die unterschiedlich belastend sind. Lass dir vom Anästhesisten im Vorgespräch alles erklären und treffe dann eine informierte Entscheidung.
Vergiss nicht: Du hast freie Wahl des Krankenhauses. Informiere dich und dann wähle. Es kann sinnvoll sein, auch ein Krankenhaus in Betracht zu ziehen, das nicht bei dir vor Ort ist, weil es zum Beispiel die bessere Operationsmethode bietet.
Fazit: Die Bedeutung von Menschlichkeit
Unterschätze nie, welche Bedeutung auch schon kleine Gesten haben, wenn Menschen gerade in Not sind.
Zeige dem betroffenen Menschen, dass er oder sie nicht allein ist. Sicherheit, Geborgenheit und das Halten eines stabilen Rahmens sind die Schlüssel zu einer erfolgreichen Verarbeitung.
In vielen Fällen kann eine gute und liebevolle Begleitung in der akuten Phase dazu beitragen, dass keine PTBS entsteht und ein Ereignis besser verarbeitet werden kann. Das Schlimmste, was uns nach einem Schock passieren kann, ist völlig alleine zu sein.
In traumatischen Situationen sind unsere Präsenz und unsere Menschlichkeit das wertvollste Geschenk, das wir einem anderen Menschen machen können.
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