Schwangerschaft, Geburt und die erste Lebenszeit: Der prägende Einfluss auf unser Leben, unseren Körper und unsere Bindungsfähigkeit

Schwangerschaft, Geburt und Prägung

Gastbeitrag von Diana Sterzik

Noch nie wurde so viel in Büchern, im Internet und auf Social Media über die Bedeutung von Schwangerschaft, Geburt und unserer ersten Lebenszeit geschrieben wie heute. Was könnte ich dazu noch Neues, noch nie Gehörtes beitragen? Wahrscheinlich nicht viel. Vielleicht auch gar nichts.

Dennoch möchte ich, da es mir ein Herzensanliegen ist und sich das in meiner Arbeit mit Babys, Kindern und Eltern widerspiegelt, zum Hinschauen und Hinspüren einladen. Schwangerschaft, Geburt und die erste Lebenszeit sind tiefgreifende, formende Prozesse, die unser gesamtes Leben beeinflussen und unsere Verhaltensweisen sowie Lebensmuster prägen können. In keiner anderen Zeit sind unser Körper und Nervensystem so verletzlich, weich und formbar wie in diesen ersten Lebensphasen.

Ich war gerührt. Es schien mir, als trüge ich einen zerbrechlichen Schatz. Es scheint mir sogar, als gäbe es nichts Zerbrechlicheres auf der Erde. 
aus: Antoine de Saint-Exupéry, „Der kleine Prinz

Unsere tiefste Prägung

In dieser Zeit erhalten wir unseren ersten, tiefsten Stempel, der sich später in unseren Verhaltensweisen, Gedanken, Gefühlen, unserer Beziehungs- und Bindungsfähigkeit und sogar in der Form unseres Körpers zeigen kann.

Wenn wir die Möglichkeit haben, in einem Ozean von Liebe, im Gefühl des Willkommen-Seins, der Geborgenheit und Vorfreude in der Gebärmutter zu wachsen, sind unser Körper und unser Nervensystem offen und empfänglich. Unser Körper nimmt die Liebe wahr, spürt die Bewegungen der Mutter und erlebt Kontakt – es ist wie ein Tanz im Mutterleib.

Wenn jedoch kein Willkommen signalisiert wird, kein Kontakt entsteht oder wir vielleicht sogar die Botschaft erhalten, unerwünscht zu sein, und wenn die Mutter unbewusste Konflikte in ihrem Körper und ihrer Psyche trägt oder während der Schwangerschaft stark gestresst ist, fühlt sich dieser erste Tanz schwer und belastend an. Hier könnten bereits Glaubenssätze entstehen wie: „Ich darf nicht sein“, „Ich bin falsch“ oder „Ich bin nicht willkommen“. Infolgedessen könnte sich das Ungeborene bereits weniger bewegen, was zu einer frühen Irritation der Körperwahrnehmung führen kann.

Michel Odent sagte einmal: „Es ist nicht egal, wie wir geboren werden.“ Und dem kann ich aus meiner Praxiserfahrung nur zustimmen.

Ob wir per Kaiserschnitt, Saugglocke oder Zangengeburt zur Welt kommen, hat Einfluss auf uns. Es können Probleme mit Grenzen oder das Gefühl von Übergriffigkeit entstehen. Glaubenssätze wie „Ich muss alles allein schaffen“ oder „Ich brauche immer Hilfe“ könnten sich bilden, ebenso wie ungerichtete Wut.

Dabei möchte ich keinesfalls den Eindruck erwecken, dass diese Interventionen grundsätzlich abzulehnen sind – sie können lebensrettend sein. Aber es ist wichtig, sich der möglichen Konsequenzen bewusst zu werden, die solche Erfahrungen nach sich ziehen können. Es gilt, sich mit dieser Lebensphase forschend auseinanderzusetzen: Könnten bestimmte Überzeugungen oder Lebensmuster aus dieser Zeit stammen?

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Die Bedeutung von Kontakt

Nach der Geburt brauchen wir vor allem eines: Kontakt. Kontakt zur Mutter oder zu einer Bezugsperson, um uns anbinden zu können. Wir haben ein tiefes Urbedürfnis nach Bindung und Berührung.

„Wir haben vergessen, dass Berührung nicht nur ein grundlegendes Bedürfnis ist, sondern der Schlüssel zum Überleben unserer Art.“  Tiffany Field, Berührungsforscherin (in: „Das Glück der Berührung“ von Cem Ekmekcioglu).

Berührung gibt uns Sicherheit. Bindung, Kontakt und Geborgenheit sind lebensnotwendig. Ab der Zeugung bis in die ersten neun Monate nach der Geburt geht es ausschließlich ums Überleben. Unser Körper will leben, und er gibt alles dafür.

Wird ein Baby nach der Geburt auf die Brust der Mutter gelegt, hat es die Möglichkeit, sich in seinem eigenen Tempo an die neue Welt anzupassen. Der Bindungsreflex wird über das Brustbein der Mutter aktiviert. Dies ist entscheidend, da Menschen sonst weiterhin auf der Suche nach Bindung bleiben. Körperkontakt ermöglicht uns, uns selbst zu spüren, erzeugt Wohlbefinden, fördert Co-Regulation, lässt Lebensenergie fließen und setzt Oxytocin frei.

Berührung und Kontakt lösen die Ausschüttung von Oxytocin aus, was Entspannung und Wohlbefinden fördert und den Magen-Darm-Trakt aktiviert. Ängste werden reduziert, und die Wahrnehmung von Beziehungssignalen verbessert sich.

Der sympathische Teil unseres Nervensystems – der aktivierende – ist bei der Geburt vollständig entwickelt. Der parasympathische Teil – der uns beruhigende – muss jedoch erst ausgebildet werden. Dies geschieht durch Co-Regulation, durch Kontakt, eine verlässliche Bezugsperson, ein liebevolles Einstimmen aufeinander, haltgebende Sicherheit und ein promptes Reagieren auf die Bedürfnisse des Babys.

Wenn es nicht optimal läuft

Wenn es im Mutterleib notwendig ist, dass sich das Ungeborene schützt, indem es sich weniger bewegt, fehlen wichtige Reize für die Entwicklung der Nerven, Faszien und Muskulatur. Der Verkörperungsprozess wird irritiert, und das Baby kommt mit einer verminderten Körperwahrnehmung zur Welt. Bestimmte pränatale Bedingungen können dazu führen, dass das Ungeborene zum Schutz in eine Dissoziation gehen muss. Andauernder Stress während der Schwangerschaft kann dazu führen, dass Cortisol die Plazentaschranke überwindet und die Hirnentwicklung des Kindes negativ beeinflusst.

Geburtsinterventionen können ebenfalls dazu führen, dass das Baby in eine Teildissoziation gehen muss. Angst und Stress werden im Körper durch Muskel- und Faszienanspannung festgehalten. Fehlender Kontakt, kein Willkommen-Sein und mangelnde liebevolle Reaktionen können ebenfalls zu einer Anspannung des Bindegewebes und der Muskulatur sowie zu einer Veränderung des Atemmusters führen – all dies geschieht zum Schutz und Überleben.

Unser Körper ist ein fließendes System. Er dehnt sich aus, zieht sich zusammen und wird durch einen freien Atem bewegt. Energie fließt frei, Organe, Muskeln und Nerven werden versorgt. Nährstoffe gelangen zu den Zellen, Abfallprodukte werden abtransportiert. Wenn das Bindegewebe jedoch angespannt ist, wird dieser natürliche, notwendige Prozess gestört. Unser Fasziensystem durchzieht den gesamten Körper und ist unser reichhaltigstes Sinnesorgan. Es speichert unsere Erfahrungen im sogenannten Körpergedächtnis.

Kontakt und Sicherheit prägen unsere Faszien

Mit elastischen, geschmeidigen Faszien fühlen wir uns wohl, sicher und lebendig in unserem Körper. Sind die Faszien jedoch verklebt oder verhärtet, nehmen wir unseren Körper anders wahr, was unsere Körperhaltung beeinflusst. Wenn unser Gehirn von den Faszien nicht die richtigen Informationen erhält – sei es, dass sie verklebt sind oder Schmerzen verursachen – dann verändert sich auch unsere Körperwahrnehmung und damit verändern sich unsere Gefühle. Unsere Körpersprache wird weniger authentisch. Gefühle wie Angst, Unsicherheit oder depressive Verstimmungen können aufkommen. Beziehungen zu anderen Menschen fühlen sich möglicherweise anstrengend an oder werden mit Misstrauen betrachtet. Faszien stehen in enger Verbindung mit unserem vegetativen Nervensystem. Wenn wir aufgrund von schmerzhaften, bedrohlichen oder schwierigen Erfahrungen unsere Muskulatur anspannen, um Angst, Wut, Ohnmacht oder Abwertung nicht mehr zu spüren, erlebt unser Körper Dauerstress. Informationen, die über die Faszien zu den Nervenbahnen und ins Gehirn gelangen, aktivieren dort die Amygdala und den Hippocampus. Unser System gerät in einen Zustand permanenter Alarmbereitschaft – aktiviert im sympathischen Nervensystem.

Um jedoch Beziehungen und Bindungen eingehen zu können, muss unser ventraler Vagus, das soziale Nervensystem, aktiv sein, der mit dem parasympathischen Teil unseres autonomen Nervensystems verbunden ist.

Wege zu mehr Beziehung, Lebendigkeit und Freude

Um unsere Erfahrungen aus Schwangerschaft, Geburt und der ersten Lebenszeit ins Bewusstsein zu bringen und Heilung zu erfahren, braucht es einen sicheren, wohlwollenden und wertfreien Raum. Unser Körper bewahrt unsere Geschichte. Damit die Körperempfindungen und Gefühle, die mit diesen Erfahrungen verbunden sind, Schritt für Schritt auftauchen können, benötigt der Körper liebevolle Unterstützung.

Was ist das Tapferste, das du je gesagt hast?“ fragte der Junge. 
„Hilfe“, sagte das Pferd. 
aus Charlie Mackery: „Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd

Wir dürfen uns Hilfe suchen – Hilfe, die uns den Mut gibt, unsere Verletzungen und emotionalen Schmerzen anzuschauen. Dadurch können wir uns selbst besser verstehen, unser Leben neu ausrichten, die Liebe wiederfinden, Raum für Neugier schaffen und unsere Lebensenergie wieder zum Fließen bringen. Unser gesamtes Orchester, mit dem wir ausgestattet wurden, darf spielen – nicht nur die wenigen Instrumente, die als erwünscht galten.

Aus eigener Erfahrung auf meiner Heilungs- und Forschungsreise kann ich sagen: Es lohnt sich.

Das Leben ist so viel schöner, bunter, heller, leichter und liebevoller geworden, mit weniger körperlichen Schmerzen. Ich bin noch nicht am Ziel, aber ich werde diese Reise bis zu meinem letzten Atemzug fortsetzen und mittlerweile alles willkommen heißen, was gesehen werden möchte. Es war nicht leicht, das steht außer Frage. Mein größter Schmerz, der noch nicht ganz befriedet ist, betrifft den Anfang meines eigenen Mutterseins. Meine Tochter wurde pränatal in meiner unaufgearbeiteten Geschichte „mariniert“. Daher war die Geburt für uns beide, anstelle einer Traumgeburt, eine sehr traumatische Erfahrung. Doch durch meine Ausbildungen in Prä- und Perinataler Psychotherapie und die Aufarbeitung meiner Geschichte konnte ich sie immer mehr sehen, verstehen und aus vollem Herzen lieben.

Es erfordert Mut, dies hier zu schreiben, und ich atme die Aufregung tief durch, um anderen Mut zu machen, Schritte zur Integration, Heilung, Liebe und Frieden in sich selbst zu gehen. Und zu elastischen, geschmeidigen Faszien.

Herzliche Grüße

Diana Sterzik

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