Der Körper lügt nicht – und zeigt oft mehr von uns, als wir glauben. Die Körperpsychotherapie hilft Therapeuten, tief in das Wesen ihrer Klienten zu sehen und zu verstehen, wie sie die Welt wahrnehmen und auf sie reagieren.
Doch was versteht man unter diesem Begriff? Woher kommt er und auf was gilt es zu achten?
Körperpsychotherapie: Unser Körper prägt unser Sein
Körperpsychotherapie hat eine ebenso lange Geschichte wie die hauptsächlich verbal-kognitiv ausgerichteten Therapien. Dennoch ist sie weniger bekannt, und viele Menschen haben nur vage Vorstellungen davon, was Körperpsychotherapie wirklich beinhaltet. Oftmals wird sie auch mit den ebenfalls als Körpertherapien bezeichneten Behandlungen wie zum Beispiel Feldenkrais, Rolfing oder Ostheopathie verwechselt.
Die Anfänge der modernen Psychotherapie sind eng mit zwei Persönlichkeiten verbunden. Das ist zum einen Sigmund Freud, der wohl bekanntere der beiden. Er gilt als Begründer der Psychoanalyse. Aus ihr ging später die tiefenpsychologisch fundierte Gesprächsführung hervor.
Zur gleichen Zeit gab es außerdem noch einen „abtrünnigen“ Schüler namens Wilhelm Reich, der völlig andere Vorstellungen entwickelte. Seine Idee war es, dass der Körper sehr viel darüber zeigt, wie eine Person auch charakterlich geschaffen ist. Er sah den Körper als Ausdruck von uns selbst und unserer Geschichte. Wilhelm Reich war der Überzeugung, dass der Körper zeigt, wer wir wirklich sind, und es über den Körper möglich ist, die Psyche zu erreichen und zu heilen.
Die Anfänge der Körperpsychotherapie: Aus Persönlichkeit wird Struktur
Wilhelm Reich nannte die Haltungsmuster, die sich durch das Verhalten unserer Bezugspersonen und deren Erziehung bei uns bilden, Charakterstrukturen. Damals wurden sie von ihm noch Charakterpanzer genannt.
Er schuf diesen Begriff, weil er annahm, dass Menschen sich durch Muskelspannungen so sehr vor schmerzhaften Gefühlen schützen, dass sie diese nicht mehr wahrnehmen können. Oftmals war es auch therapeutisch nicht mehr möglich, einen Zugang zu diesen verpanzerten Gefühlen zu bekommen.
Unser Körper ist nach Reich ein Spiegel unserer familiären Sozialisation und gleichzeitig gesellschaftlicher Erziehungsmethoden. Reich nahm an, dass langanhaltende emotionale Zustände sich im Körper manifestieren.
Alexander Lowen, Schüler und Nachfolger Wilhelm Reichs, brachte es einst auf den Punkt:
„Der Körper lügt nicht“.
In der Körperpsychotherapie gehen wir also davon aus, dass die Umstände, in denen ein Mensch aufgewachsen ist, sich in seinen Haltungsmustern niederschlagen. Ich nenne es die Brille, mit der jemand in die Welt schaut.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenWarum der Körper nicht lügt
In der Körperpsychotherapie unterscheidet man zwischen der Körpersprache, die ständig wechselt, und einer Körperstruktur, die manifest ist.
Körpersprache ist die Art, wie ich „erzähle“, was ich gerade sage. Körpersprache kann man trainieren. Das tun Politiker, das tun Schauspieler, und manche Leute können in ihrer Körpersprache relativ viel von dem verdecken, was sie wirklich fühlen oder denken.
Unter Körperstruktur versteht man in der Körperpsychotherapie folgendes: Es ist die Haltung, die wirklich charakteristisch für eine Person ist!
Die meisten von uns erkennen gute Freunde schon von Weitem an ihrer Haltung. Wir können sie oft im Halbdunkel noch gut erkennen – einfach an der Art, wie sie gehen und sich bewegen. Die Art sich zu bewegen und unsere Haltung sind so typisch wie ein Fingerabdruck.
Im Körper drücken sich Gefühle aus, die der Mensch nicht offen zeigen möchte oder die so „alt“ oder auch abgespalten sind, dass sie der Person nicht mehr bewusst sind.
Körpersprache ist die Summe aus momentaner Gestik, Mimik, Körperhaltung während Körperstruktur oder die sogenannte Charakterstruktur dauerhafte Zeichen sind.
Das sind zum Beispiel:
- hochgezogene Schultern
- ein schief stehender Kopf
- ein kollabierter Brustkorb
- „Soldatenhaltung“
- ein Gang wie John Wayne
Dies alles sind Haltungen oder Spannungsmuster, die zu einer Körperstruktur gehören.
Das ist der große Unterschied von Körperstrukturen zur Körpersprache. In der Körpersprache sieht man z.B. den Ausdruck einer aktuellen Emotion, in der Körperstruktur zeigen sich alte, verdrängte Emotionen.
Wie diese Strukturen entstehen, versteht man, wenn man zum Beispiel an ein Kind denkt, das immer wieder gesagt bekommt: „Man darf Kinder sehen, aber nicht hören.“
Solch ein Kind entwickelt zwangsläufig Strategien, wie es seine lauten Impulse unterdrücken kann. Damit das gelingt, muss es bestimmte Muskeln immer und immer wieder anspannen.
Aus diesen Spannungsverhältnissen, die sich über die Zeit chronifizieren, entsteht letztendlich eine feste Körperstruktur, die sich in verschiedenen Haltungen im Körper darstellen kann.
Es geht dabei nicht um Pathologien.
Keine Haltung oder Struktur ist per se krankhaft – sie verkörpert einfach unsere Geschichte und die Persönlichkeit, die sich daraus entwickelt hat!
Zusammenhang von Emotion und Körper
Eine Person, deren Körperhaltung etwa im Brustraum kollabiert ist, neigt möglicherweise eher zu Schwermut oder auch zu depressiven Verstimmungen. Gleichzeitig steht sie aufgrund ihrer Körperstruktur wahrscheinlich ihrer Gefühlswelt näher und erlebt Emotionen intensiver als jemand, der „stramm steht“, die Schultern nach hinten zieht und glaubt, stark, unabhängig und unangreifbar sein zu müssen – und daher keine Unterstützung annehmen kann.
In der Haltung offenbaren sich also chronifizierte emotionale Zustände, die meist nicht mehr bewusst von uns wahrgenommen werden. Leider wird unser Verhalten – und damit unser Leben – oft von diesen unbewussten Anteilen bestimmt. Die Körperhaltung bestimmt die Gefühle und Reaktionsmuster im normalen Alltag eines Menschen.
Was heißt das?
Bestimmte Körperhaltungen schließen bestimmte Gefühle fast aus. Wenn man zum Beispiel die Luft anhält und sich ganz gerade aufrichtet und dabei die Muskeln im Oberkörper zusammenzieht, dann fällt es sichtlich schwer zu weinen. Wenn ich dabei zusätzlich noch den Kiefer zusammenbeiße, dann fällt mir wahrscheinlich der Ausdruck von Weichheit und Zartheit insgesamt schwer.
Diese Verspannungen entstehen in unserer Kindheit und werden zu einer Prägung. Sie entwickelt sich in den ersten Lebensjahren eines Kindes. Anfangs ist die Struktur noch nicht sichtbar, sie wird aber nach und nach immer deutlicher erkennbar.
In den ersten Lebensjahren entsteht die Körperstruktur aufgrund dessen, was das Kind erlebt: Wie es gefördert wird, wie es gesehen wird, wie es geliebt wird, was es darf, was es nicht darf. All das hinterlässt Spuren in uns allen – sowohl auf körperlicher als auch auf emotionaler Ebene.
Traumatische Geburten hinterlassen so starke Spuren, dass man dies später im Körper eines Menschen „sehen“ kann. Als Körperpsychotherapeutin erkenne, sehe und erfühle ich diese Spannungsmuster. Über den Körper erhalte ich Zugang zur Psyche des Klienten.
Struktur erzeugt Überzeugungen
Das Besondere daran ist, dass man anhand des Körpers praktisch sehen kann, durch welche Brille die Person in die Welt schaut (denn jede Struktur hat ihre speziellen Glaubenssätze). Das macht es für mich als Therapeutin einfacher, die Person dort abzuholen, wo sie tatsächlich ist. Ich kann Angebote machen, die für diese Person sinnvoll sind, weil sie sich gesehen und gefühlt fühlt – und weil ich sie tatsächlich verstehe.
Es gibt einige grundsätzliche „Brillenmodelle“ der verschiedenen Charakterstrukturen, die sehr verbreitet sind:
- Die Welt ist ein gefährlicher Ort.
- Ich denke, also bin ich.
- Ich bin anders als die anderen und gehöre nicht dazu.
- Es gibt nie genug für mich und ich komme immer zu kurz.
- Ich brauche niemanden.
- Wenn du willst, dass etwas richtig läuft, dann mach es selbst.
- Ich bin schuld.
- Wenn ich in meine Kraft gehe, dann werde ich alleine sein.
- Ich bin, wenn ich etwas leiste.
Sehr wichtig ist es in diesem Zusammenhang, dass ich über mich selbst als Therapeutin weiß, mit welcher Brille ich in die Welt blicke und wie sie gefärbt ist. Ich sollte wissen, wo ich wahrscheinlich nicht fähig bin, die Realität zu sehen, und in welche Fallen ich im therapeutischen Prozess dadurch tappen kann.
In den Schuhen eines anderen laufen
Wenn du wissen willst, wie sich ein anderer Mensch wirklich fühlt, dann nimm möglichst vollständig dessen Körperhaltung ein und laufe damit eine Zeit lang herum. Du wirst merken, dass sich in deinem Denken und Fühlen bestimmte Dinge verändern.
Es gibt sogenannte Handlungstendenzen, die für eine Person mit einer bestimmten Körperstruktur naheliegender sind als für andere. In der Körperpsychotherapie arbeitet man mit diesen Mustern. Es geht darum, sie wieder ins Fühlen und ins Bewusstsein zu bringen, um dann die fehlenden Handlungsmöglichkeiten in der Therapie zu entwickeln.
Darüber wird dem Klienten ermöglicht, aus seinem Muster auszusteigen und neue Wahlmöglichkeiten für sich selbst in Betracht zu ziehen.
Widerspruch zwischen Körper und Worten
Neben der Möglichkeit, anhand der Haltung eines Menschen seine Welt besser zu erfassen, ermöglicht mir der Einbezug des Körpers einen wesentlich schnelleren und tieferen Zugang zu dem Menschen.
Wenn wir wissen, dass 90 % der Kommunikation nicht verbal, sondern nonverbal über Körper und Tonlage abläuft, erscheint es sehr unlogisch und eingeschränkt, die Aussagen des Körpers in einem Gespräch nicht zu beachten.
Wenn ich zum Beispiel in einer Therapiestunde jemandem zuhöre, dann höre ich zwar, was jemand sagt, aber ich schaue sehr genau, was mir der Körper währenddessen über dieselbe Geschichte erzählt. Oft weicht die Erzählung des Körpers von der der Sprache ab.
In der Körperpsychotherapie liegt die Konzentration primär auf dem, was der Körper erzählt. Die Haltung, die wir haben, die Erregung, die in bestimmten Situationen in unserem Körper aufsteigt, oder unbewusste Bewegungen zeigen sehr genau, was in einem Menschen vorgeht.
Immer wieder lerne ich, dass unser Körper viel wahrhaftiger ist als unsere Sprache. Durch Sprache zensieren wir häufig das, was wirklich in uns vorgeht. Körperpsychotherapie kann hier sehr unterstützend sein und helfen, wieder einen Zugang zu sich zu bekommen.
Körperpsychotherapie heute
Heute gibt es sehr unterschiedliche Schulen der Körperpsychotherapie. Die therapeutische Arbeit mit den Klienten hat sich sehr verändert.
In den 80er Jahren war die Körperpsychotherapie meist als kathartische Therapie bekannt, in der man Kissen verprügelte, schrie und dazu aufgefordert wurde, „es rauszulassen“. Dieses Vorgehen hat einigen Menschen geholfen – und einigen sehr geschadet. Gerade für traumatisierte Menschen ist diese Art therapeutischer Arbeit kontraindiziert. Sie werden dabei von Gefühlen überschwemmt, die sie nicht mehr regulieren können, und es kann keine Integration und neue Entwicklung stattfinden.
Heute ist der Begriff der Achtsamkeit und des behutsamen Spürens wesentlich wichtiger geworden. Es geht darum, die verborgenen (dissoziierten) emotionalen Inhalte langsam und behutsam wieder spürbar zu machen und so Menschen aus einem Zustand des Funktionierens wieder in eine gefühlte Lebendigkeit zu helfen.
Die grundlegende Wahrheit, die Wilhelm Reich herausfand, ist jedoch immer noch die gleiche:
„Wir sind unser Körper.“
Wenn du mehr für dich und deinen Körper tun willst, ist vielleicht mein Online-Kurs „Mit Trauma leben – Wege zu mehr Selbstregulation und Stabilität“ etwas für dich. Er beginnt zunächst mit einem kostenfreien und unverbindlichen Schnupperkurs. In diesem kannst du mich und meine Arbeit kennenlernen und du erhältst bereits konkrete Übungen und Anleitungen zum Ausprobieren.
Hol dir jetzt den Gratis Zugang!
Mit Trauma leben - Wege zu mehr Stabilität & Selbstregulation
Der Online-Kurs „Mit Trauma leben – Wege zu mehr Stabilität & Selbstregulation“ findet ab 2. November 2025 wieder statt und beginnt zunächst mit einem gratis Schnupperkurs. In diesem kannst du anhand von konkreten Übungen und Anleitungen mich und meine Arbeit kennenlernen. Der Kurs ist nicht frei verkäuflich. Du bekommst über den Kursstart Bescheid, wenn du bei mir eingetragen bist.