Immer wieder werde ich als körperorientierte Therapeutin gefragt, was körperorientierte Traumatherapie eigentlich ist und was dabei in der Therapie passiert. Das liegt daran, dass viele Menschen Angst vor Therapien — insbesondere vor Traumatherapien — haben, weil sie sich vorstellen, dass sie ihre belastenden, traumatischen Erlebnisse erneut durchmachen müssen. Dies ist in einigen therapeutischen Ansätzen auch tatsächlich der Fall und die Therapie kann durchaus sehr belastend sein.
In diesem Beitrag kläre ich deshalb darüber auf, was eine Traumatherapie eigentlich ist, welche Formen es gibt, wie die Phasen einer Traumatherapie aussehen und gehe im Spezifischen auf den Ansatz der körperorientierten Therapie ein.
Was ist ein Trauma?
Zunächst stellt sich die Frage: Was ist ein Trauma eigentlich? Ein Trauma ist im Wesentlichen eine tiefgreifende seelische Verletzung, die durch ein Ereignis hervorgerufen wird, das die Fähigkeit des Individuums, mit Stress umzugehen, überfordert. Traumata hinterlassen oft tiefe Spuren im Nervensystem, beeinflussen das Denken und die Gedanken, das Fühlen und Handeln der betroffenen Person. Die Arbeit in der Traumatherapie besteht darin, Klienten zu helfen, Heilung zu finden und wieder Kontrolle über ihr Leben zu erlangen.
Traumakategorien
Schocktrauma
Bei vielen auf dem Markt befindlichen Traumatherapien handelt es sich eigentlich um Schocktraumatherapien. Das bedeutet, dass dort eben nur einzelne, singuläre Ereignisse bearbeitet werden. Auch im Alltag, wenn man von einem Trauma spricht, meint man fast immer ein Schocktrauma — also ein Trauma, das durch einzelne überwältigende Ereignisse ausgelöst wurde, wie Misshandlung oder sexuelle Übergriffe.. Man nennt dies in der Fachsprache Traumakategorie 1.
Entwicklungstrauma
Viel häufiger sind aber Entwicklungstraumata, bei denen langanhaltender, chronischer Stress vorgelegen hat und vielleicht auch eine gewisse Form von Vernachlässigung stattfand (Traumakategorie 2). Der Begriff „Trauma“ kann hier ein bisschen irreführend sein, denn für die Entstehung eines Entwicklungstraumas kann es ausreichen, dass Eltern sich vor 30 Jahren so verhalten haben, wie man es ihnen vorgegeben hat. Dazu gehört etwa, dass man den Säugling nur alle drei Stunden gefüttert hat und ihn sonst nur liegen gelassen hat, dass man meinte, Schreien sei gut für die Lunge und dass die Kinder egoistisch werden, wenn man sich zu viel um sie kümmert. Dieses Verhalten der Eltern, das viel zu distanziert war und die Kinder allein ließ, hat ganz häufig gravierende Folgen für uns als Erwachsene.
Traumatisierung und Überwältigung
In jenen Fällen, in denen verschiedene Arten von Traumatisierung für einen Menschen stattgefunden haben, spricht man von einer Komplextraumatisierung. Bei den meisten Komplextraumatisierungen und frühen Traumatisierungen ist auch Schock als Element enthalten. Meistens sind neben andauerndem Stress auch noch andere Dinge schiefgegangen: Man hat z.B. Gewalt oder Übergriffe erlebt, ist schwer gestürzt, hatte einen Autounfall, jemanden verloren oder eine Operation hinter sich. All diese Dinge können traumatisierend sein und natürlich möchte man in einer Psychotherapie daran arbeiten.
Nach einem Trauma hält der Körper den Schock im System fest und kann ihn nicht verarbeiten. Das Trauma hat als Wesensmerkmal etwas Überwältigendes, selbst wenn es vielleicht für andere Menschen in der eigenen Umgebung nicht überwältigend ist. Das Gefühl von Überwältigung ist hoch subjektiv. Man kann also nie sagen, dass ein Ereignis an sich traumatisierend ist. Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf die Ereignisse, weil sie sehr unterschiedliche Ressourcen und Fähigkeiten haben.
Die Energie, die der Körper zur Bewältigung der Situation bereitgestellt hat, hängt durch die Überwältigung und das daraus resultierende Erstarren im Körper und im Nervensystem fest und kann nicht verarbeitet werden kann. Es fehlt dann das Signal, dass das Ereignis zu Ende ist. Es ist diese hohe Energie, die zu den körperlichen und psychischen Symptomen führt, da der Körper nicht in den Normalzustand zurückfahren kann. Durch eine Traumatisierung ist man die meiste Zeit außerhalb des sogenannten „window of tolerance“, also entweder unterhalb der unteren Grenze (leer, sinnlos, kraftlos) oder über der oberen Grenze (übererregt, ständig in Bewegung).
Vergleich der Therapien bei Schocktrauma und Entwicklungstrauma
Was häufig im Zusammenhang mit einer Traumatisierung verloren geht, ist die Körperwahrnehmung. Denn der Körper ist der Ort der Schmerzen und unangenehmen Gefühle. Deswegen möchten Betroffene nicht zur Ruhe kommen, da sobald das passiert, die ganzen negativen Gefühle wieder hochkommen. Menschen sind schlaue Tiere, weshalb sie versuchen, dem aus dem Weg zu gehen, indem sie einfach aktiv bleiben.
In der körperorientierten Traumatherapie nimmt man die Körperwahrnehmung als Schlüssel, um das Trauma verarbeiten zu können. Das bedeutet, dass man im Vorfeld erst mit den Menschen lernen muss, wie sie ihren Körper wieder fühlen können, ohne dabei Angst zu bekommen.
Der Unterschied zwischen einer Schocktrauma- und einer Entwicklungstrauma-Therapie ist, dass man das „window of tolerance“ bei der Entwicklungstrauma-Arbeit größer machen will, sodass praktisch mehr Energie, mehr Stress, mehr Glück zwischen diesen beiden Grenzen Platz hat. Bei einer Traumatherapie bei einem Schocktrauma sollen dagegen oben und unten jeweils die Spitzen abgetragen und abgearbeitet werden, damit sie nicht mehr da sind. Aus meiner eigenen Erfahrung nützt das eine ohne das andere nichts. Denn es gibt selten Menschen, die nur ein Schocktrauma haben und bei denen sonst alles im Leben ohne Hürden verlief. Die meisten haben ein sehr kleines „window of tolerance“ und sind deswegen auch sehr anfällig für andere Traumatisierungen.
Was für dich wichtig zu wissen ist: In der körperorientierten Traumapsychotherapie versucht man immer, innerhalb dieses Fensters zu arbeiten. Man möchte nicht, dass Menschen wieder in die traumatische Erinnerung zurückfallen, dass sie diese wieder erleben, sich wieder überwältigt fühlen. Dies möchte man unbedingt vermeiden, da es nicht heilsam ist und sollte so gut wie möglich vermieden werden.
Phasen und Schritte in der Traumatherapie
Die Schritte in der Traumabearbeitung sind eigentlich in vielen Traumatherapien gleich. Mir sind darüber hinaus ein paar weitere Dinge wichtig, die woanders unter Umständen nicht vorkommen.
Stabilisierungsphase: Arbeit mit Ressourcen
Der erste Schritt, der für alle gleich ist, ist die Stabilisierungsphase, also die Arbeit mit Ressourcen. Dabei geht es darum, jemanden kennenzulernen und dadurch herauszufinden, was zumutbar ist und was nicht. Bei der Arbeit mit Ressourcen geht es immer darum, Ressourcen zu vermehren und nicht darum, Ressourcen wegzunehmen.
Körperwahrnehmung erlernen
Im zweiten Schritt muss es unbedingt darum gehen, die Körperwahrnehmung wieder zu erlernen. So kann sich der oder die Betroffene wieder mit dem eigenen Körper anfreunden und wahrnehmen, dass nicht alles dem Körper weh tut oder mit Angst besetzt ist.
Kontakt zulassen
Ein Schritt in der Traumatherapie, der mir ganz besonders wichtig ist, ist, dass Menschen wieder lernen, Kontakt zuzulassen. Denn manchmal, wenn wir aus dem Toleranzfenster fallen, brauchen wir Kontakt, um uns wieder beruhigen zu können. Wenn ich aber keinen Kontakt mit der Person herstellen darf, sie also nicht anfassen darf oder die Hand nehmen kann, weil das zu angstbesetzt ist, dann fehlen mir als Therapeutin unter Umständen die Möglichkeiten, jemanden wieder in das Toleranzfenster zu holen.
Grenzen wiederherstellen
Der nächste Punkt ist das Wiederherstellen von Grenzen. Ein Trauma ist immer eine Verletzung von Grenzen. Wir wollen durch die Traumatherapie erreichen, dass die Menschen wieder sagen können, wenn sie etwas nicht wollen oder wenn sie etwas wollen, und dass sie sich verteidigen können. Sie sollen wieder spüren, was eine angemessene Nähe ist und was eine unangemessene Nähe ist. So soll die Angst vor Kontakt per se wieder abgelegt werden. Vielen geht es nämlich so, dass ihr Körper sofort starr wird, wenn ihnen jemand zu nahe kommt.
Orientierung aufbauen
Ein ganz wichtiger Faktor ist die Arbeit mit der Orientierung. Man möchte, dass Menschen sich wieder in der Welt orientieren können. Das wird oft in seiner Wichtigkeit unterschätzt wird. Bei einer traumatisierenden Überwältigung friert dieser Orientierungsreflex ein und der Nacken sowie die Schultermuskeln werden fest, was bei vielen Menschen zu chronischen Verspannungen führt. Diese möchte man in der körperorientierten Traumatherapie wieder lösen.
Orientierung bedeutet letztendlich, sich bewusst zu sein, mehrere Möglichkeiten zu haben. Somit ist das, wie Betroffene jetzt leben, oder das, was sie jetzt tun, nicht die einzige Möglichkeit.
Traumaexposition
Ein weiterer Schritt für die Verarbeitung eines Traumas ist die sogenannte Traumaexposition. Dabei ist es in der körperorientierten Traumatherapie das Ziel, dass die festgehaltene Schockenergie wieder aus dem Körper entlassen werden kann. Dabei ist ganz wichtig, dass wir nicht mit Gefühlen und Emotionen arbeiten – die ja überwältigend waren-, sondern wir bleiben rein auf der Körperebene, um nicht in die alten Gefühle und Erinnerungen zu fallen.
Man will, dass Klienten das traumatische Erlebnis nicht noch einmal fühlen. Jeder traumatisierte Mensch ist froh, überlebt zu haben, und möchte das Erlebte nicht noch einmal wieder erleben. Dies ist ein großer Unterschied zu vielen anderen Traumatherapieformen.
Traumaexposition ist ein Mittel der Schocktrauma-Arbeit. Für die Arbeit mit Entwicklungstrauma gelten andere Regeln.
Integration
Der vorletzte Punkt ist die Integration und die Bearbeitung von Glaubenssystemen. Jede Traumatisierung bringt ein Glaubenssystem mit hervor. Es ändert sich für Betroffene die Sicht auf die Welt und plötzlich glauben sie zum Beispiel, dass die Welt gefährlich ist oder dass man Menschen nicht trauen kann. Es ist sehr wichtig, sich diese Systeme bewusst zu machen und sie wieder aufzulösen, damit man wieder den Zugang zu sich selbst, aber auch zu anderen findet.
Emotionale Integration
Schließlich kommt noch die emotionale Integration. Jetzt kann sie durchgeführt werden, weil die Emotion nicht mehr überwältigend sind. Das heißt nicht, dass es nicht noch traurig ist — und das muss es auch sein, weil Trauer ein ganz wichtiger Abschnitt in der Traumatherapie bzw. in jeder Therapie ist. Dinge müssen betrauert werden, damit etwas Neues beginnen kann.
Körperorientierte Traumatherapie: Besonderheiten und Ablauf
Die körperorientierte Traumatherapie stellt eine besondere Form der Traumabehandlung dar, die sich aufgrund ihres ganzheitlichen Ansatzes bewährt hat. Ein wichtiger Bestandteil dieses Verfahrens ist die Körperwahrnehmung. Es wird nicht mit Emotionen gearbeitet. Stattdessen achtet man immer darauf, was im Körper passiert.
Traumapatienten haben häufig Probleme mit der Körperwahrnehmung. Sie fühlen sich nicht mehr wohl in ihrer Haut, weshalb es bei der Therapie nicht ausreicht, nur auf der seelischen Ebene zu arbeiten. Die Methode der körperorientierten Traumatherapie knüpft an diesem Punkt an und zielt auf ein gutes Körpergefühl ab.
Den Körper neu wahrnehmen
Die körperorientierte Traumatherapie trägt dazu bei, den eigenen Körper wieder anzunehmen und mit diesem ein gutes Gefühl zu verbinden. So geht es auch darum, wieder Vertrauen in den eigenen Körper zu schöpfen, sodass das individuelle Körpergefühl nicht immer nur mit Schmerzen und Angst verbunden wird. Auf diesem Weg lernen Betroffene wieder Schritt für Schritt, dass sie Kontakt zulassen dürfen. Hierzu gehören auch Körperberührungen verschiedenster Art.
Was passiert im eigenen Körper?
Ein Kernpunkt der körperorientierten Traumatherapie ist die gezielte Fokussierung auf den Körper. So geht es bei dieser Therapieform weniger um die Arbeit mit Emotionen als vielmehr darum, auf den eigenen Körper zu achten. Dadurch kann eine positive Körperwahrnehmung geschult werden.
Weniger ist mehr
Die körperorientierte Traumatherapie basiert auf der Arbeit mit kleinen Schritten. Dadurch vermeide ich konsequent eine Überforderung meiner Klienten. Meine Klienten entwickeln dadurch wiederum ein positives Gesamtgefühl. Die kleinen Schritte in der Behandlung sorgen zudem dafür, dass die Veränderungen besser akzeptiert und integriert werden können. Sie lassen sich von den Betroffen leichter verarbeiten.
Weitere wichtige Punkte in der körperorientierten Traumatherapie sind:
- Der Körper trägt alle wichtigen Informationen in sich, auch über Traumata, die uns nicht (mehr) bewusst sind.
- Die Abreaktion muss in einem angenehmen Umfeld stattfinden. Die Menschen fangen dabei an zu zittern und zu zucken, ohne dass ihnen kalt ist. Deshalb ist dafür zu sorgen, dass ihnen warm ist und sich die Umgebung angenehm anfühlt. Auf diese Weise verarbeitet der Körper das Trauma und nicht der Kopf. Trotzdem nehmen gleichzeitig die psychischen Symptome ab oder verschwinden ganz. Dieser Prozess unterliegt der eigenen Kontrolle und kann jederzeit unterbrochen werden.
- Ein Trauma ist erst vollständig bearbeitet, wenn alle Reflexe wieder zur Verfügung stehen und der Schock wieder erinnert werden kann, ohne dass eine Überwältigung stattfindet.
Auf meinem Blog findest du noch mehr Artikel zu diesem und anderen interessanten Themen — etwa noch mehr Wissenswertes zur Körperpsychotherapie oder worauf du bei der Suche nach einem geeigneten Traumatherapie-Therapeuten achten musst.
In diesem Video beschreibe ich, wie körperorientierte Traumatherapien arbeiten, und zeige das anhand eines Beispiels.
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Mehr InformationenZur Kenntnisnahme: Seitdem ich das Video aufgenommen habe, ist einige Zeit vergangen und Therapieformen haben sich weiterentwickelt. Dies trifft auch auf SE von Peter Levine zu, der seine Methode erweitert hat. Ebenso hat auch die Methode von Pat Ogden mehr zu bieten als Schocktrauma-Arbeit.